Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche   (29.September 2002)
 

  Die Wahl ist vorbei. Was bleibt, sind riesige Scherbenhaufen, die Spaziergänge unmöglich machen, die Sicht auf Kulturdenkmäler versperren und zu erhöhtem Verletzungsrisiko auf Kinderspielplätzen führen. In Scherben liegen unter anderem die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die Europapolitik, der gute Geschmack, der Neue Markt und die Karriere von Friedrich Merz.

  Trotzdem sollte man kein
Scherbengericht veranstalten, um die Frage zu klären, wer am meisten Splitter verursacht hat. Taten sind gefragt. Sollten Sie also vor der Haustür auf Scherben treten, auf denen gerade noch Satzfetzen wie Bush, Nazi oder Wahlbetrug zu lesen sind, kleben sie die Teile sorgfältig zusammen und schicken Sie sie an den Hersteller zurück.

  Alle sind sich einig, dass künftige Wahlkämpfe zivilisierter ablaufen sollen. Doch dabei sollte man der Politik helfen. Vielleicht mit einem Leitfaden zum
„Problem des Vergleichs in der politischen Debatte“? Er enthält einen kurzen Kanon furchtbarer Persönlichkeiten, Orte und Errungenschaften sowie Empfehlungen zum Umgang mit ihnen. Die Politik darf weiter vergleichen, was das Zeug hält, sollte aber das Gebot der Ausgewogenheit beachten. Warum nicht einmal einen Macchiavelli oder Borgia ins Gefecht werfen? Es muss nicht immer der Führer sein. Einen politischen Konkurrenten als Nero des Mittelstands zu titulieren, wäre innovativ. Die Geschichte ist ja reich an unverbrauchten Persönlichkeiten: Saulus, Ceausescu, Iwan der Schreckliche, Idi Amin oder Jürgen Sparwasser (der haute uns bei der Fussball-WM 74 ein Ding rein) sind zu jeder Herabwürdigung geeignet. Genauso wie Wortkombinationen mit verrufenen Regionen: Das Neapel Deutschlands, das Libera Niedersachsens oder Burkina Faso Bayerns beispielsweise.

  Leider wird es zu diesen Wortduellen zunächst nicht kommen. Denn viele historisch beschlagene Parlamentarier verlassen den Bundestag. Unbefangene 19-jährige, die im Schulunterricht gerade mal die zweite Völkerwanderung streiften und Tampons für Verhütungsmittel halten, rücken nach.
Jetzt lernen sie, was deutsche Geschichte ist: Vor ihren Augen verbarrikadieren sich einige abgewählte FDP-Abgeordnete in ihren Büros und schrieen, als die Türen aufgebrochen wurden, etwas von einem zweiten Prager Fenstersturz. Der folgende Vermittlungsversuch von Jürgen Möllemann gilt jetzt schon als Pearl Harbour der deutschen Parlamentsgeschichte.

 

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