Dinge, so oder so

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Die Dinge der Woche (11. Mai 2003)
 

  Willkommen, liebe Leserinnen und Leser, auf der HMS-Deutschland, einem Luxus-Narrenschiff der neuesten Generation. Wenn wir alle zusammenrücken, ist für alle Platz. Das Schiff hat durch die Überladung mit privilegiengefüllten Containern bereits starke Schlagseite, liegt aber noch auf Kurs. Die Stimmung ist gereizt. Um die drohende Havarie zu verhindern, will die Crew Ballast abwerfen. Viele entsetzte Passagiere müssen sich von einem extra Paar Wildlederschuhe und der zweiten Garnitur Seiden-Nachtwäsche trennen. Das führt zu hässlichen Verteilungskämpfen. Einige Reisende verteidigen ihr Gepäck mit Nagelfeilen und Obstmessern.

  Seit Mitte der Woche hat sich auch der Bug des Schiffes stark abgesenkt. Die Kabinen der dritten Klasse sind unterspült. Hunderte von Passagieren versuchen, in die Kabinen der ersten Klasse vorzudringen, werden aber von den dort ansässigen Passagieren zurückgeschlagen. Es hagelt Liegestühle. Drohungen des Kapitäns verpuffen. Die Reisenden der Luxusklasse berufen sich auf den beim Kauf ihres Billets miterworbenen Vertrauensschutz.

  Auch unten in den Maschinenräumen bewegt sich wenig. Neben jedem Heizer steht ein Funktionär der maritimen Gewerkschaft, der auf die Einhaltung der Arbeitszeit achtet. Seit Mittwoch arbeitet niemand, weil die gesetzlichen Ruhezeiten eingehalten werden müssen. Das eindringende Wasser wird deshalb auch nicht abgepumpt.

  Von diesen Vorgängen bekommen die Offiziere auf der Brücke nichts mehr mit. Der Kapitän erklärt über Bordlautsprecher, er werde Kurs halten. Aber welchen? In Arbeitsgruppen wird sie Richtung diskutiert. Man einigt sich schliesslich auf eine gemeinsame Erklärung, die besagt, das Ruder müsse herumgerissen werden. Dass die Ruderanlagen ausgefallen sind, bleibt ungemerkt.

  Seit Ende der Woche ist die Funkverbindung zur realen Welt endgültig unterbrochen. Die Decks stehen unter Wasser. Matrosen, Heizer und Köche protestieren mit Streiks gegen das schlechte Wetter und die hohen Wellen. Im Ballsaal werden die letzten Gläser abgeräumt.

 

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