Dinge, so oder so

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Die Dinge der Woche (07. September 2003)
 

  Wir schreiben das Jahr 2033. In Tötensen bei Hamburg sitzt ein alter Mann und blättert gedankenverloren in Fotoalben. "Da, Tauchurlaub auf den Malediven. Sieht scheisse aus, die kurze Badehose. Aber wie hiess die Alte da auf dem Bild noch? Nabbl? Naschel? Ach, egal. Mensch Dieter, diese ganzen Weiber. Irgendwie sehen sie doch alle gleich aus." Ein böser Hustenanfall schüttelt den Greis. Er wischt sich den Mund ab und steht auf. Ein geräuschloser Treppenlift bringt ihn nach oben in sein Tonlabor. Dort werden gerade wieder Pop-Nachwuchsstars gezüchtet. Sie sitzen reglos in grossen Reagenzgläsern und blicken kuhäugig auf tausende goldener Schallplatten an den Wänden. "Wann dürfen wir raus, Dieter?" - "Bald, bald, ihr Hosenscheisser. Bald bring' ich euch ganz gross raus."
   
Zur selben Zeit in einem Pflegeheim in Berlin-Steglitz. Eine Frau mit faltig-dunklem Teint kritzelt hastig Buchstaben auf ein Blatt Papier: Dieters Wünsche im Bett wurden damals immer perverser. "Pervers - wie schreibt man das noch mal?" Die Zunge der Frau schiebt sich vor Anstrengung über die Lippen. "P-e-r-v-e-r-s-e-r. Oder besser perfider? Peripherer? Persianer? Egal!" Die Frau lacht heiser. "Jetzt mach' ich ihn fertig, den alten Drecksack." Gebrüll von draussen: "Frau Naddel! Mittagessen! Es gibt Bohnensuppe, die mögen sie doch so gerne." Die Frau steht mühsam auf und klaubt 230 Gramm Silikon vom Boden auf. "Ja, ja, ich komme."
  
Zur selben Zeit in Frankfurt. Es ist Buchmesse! Die Kritik feiert das Programm als literarische Wiedergeburt Deutschlands. Nachdem sich viele Verlage jahrelang mit dem Verkauf von Autofelgen und Putzfrauen über Wasser gehalten haben, sind für den Herbst 2033 gleich dutzende von Neuerscheinungen nahmhafter Autoren angekündigt. Dieter Bohlen: "Nicht faul! Mein Bettzeug erzählt." (380 Seiten, 512 Frauen), Naddel: "Bildung! Gedichte, die sich reimen tun" (433 Seiten, 34 Brüste), Boris Becker: "Mein Leben, Band 8 - von der Pubertät bis zum Führerschein" (450 Seiten, 45 Frisuren), Susan Stahnke: "Mein Leben in Hollywood" (acht Seiten, broschiert), Rüdiger Nehberg: "Ich esse jedes Tier, 78 Jahre im Urwald" (34 Seiten mit Originalungeziefer), Stefan Effenberg: "Ich!" (1000 Seiten, handgestrunzt).
   Damit nur schnell zurück in die Gegenwart.

 

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