Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (5.Oktober 2003)
 

  Wie sie unschwer erkennen, liebe Leser und Leserinnen, steht diese Ausgabe unter dem Thema Jung und Alt. Ausgangspunkt dieser Planung war aber nicht etwa die Debatte über den Zusammenbruch unserer Sozialsystem, sondern eine alarmierende Studie Züricher Wissenschaftler aus dem Jahr 1996, die uns erst jetzt erreichte. Die Forscher untersuchten altersbedingte Verhaltensunterschiede bei Laborratten und kamen zu erschreckenden Ergebnissen. Wir zitieren: Die alten Ratten konnten wegen ihrer Grösse in den gesetzeskonformen Käfigen gewisse Stellungen, z.B. Männchenmachen, nicht mehr ausführen.
  Was 1996 für das Tierreich galt, hat jetzt auch die deutsche Gesellschaft erreicht. In Deutschland sah man bis vor einigen Jahren noch
an jeder Strassenecke ältere Menschen, die Männchen machten, ein Rad schlugen oder mit ihren Kreditkarten herumfuchtelten, um den Weibchen zu imponieren. Sie sind verschwunden. Stattdessen streifen angriffslustige Jungnager durch die Strassen, die sich weigern, in die Rentenkasse einzuzahlen und mit Alterspyramiden auf Senioren werfen. Der Jugendwahn hat die Gesellschaft fest im Griff. 25-jährige streifen verwirrt und greisenhaft in den Szeneshops umher und werden vom Sicherheitsdienst nach draussen gebracht. 40-jährig Besserverdiener werden von blutjungen Praktikantinnen so verwirrt, dass sie plötzlich niemanden mehr entlassen wollen, 70-jährige Rentner blockieren in Supermärkten die Kassen, weil sie im Wechselgeld kramen. Vorher haben sie Jüngeren die letzte Tiefkühlpizza weggeschnappt.
  
Ganz anders die jungen Ratten. Zitat: Junge Ratten hielten sich länger in der Testarena auf und beschäftigten sich häufiger mit den angebotenen Objekten, wobei bearbeitbare Objekte (Papier und Gummiball) attraktiver waren als harte Würfel und Murmeln. Im Open-Field-Test durchquerten die jungadulten Ratten deutlich mehr Kreissegmente uund betraten das Zentralfeld früher als alte. Dies ist ein Hinweis auf eine erhöhte Ängtlichkeit der alten Rattenböcke.
  Angst! Wir Alten (bei Ratten beginnt das Greisenalter bereits schon mit zwei Jahren, bei Menschen etwa um das 19. Lebensjahr herum, bei Frauen schon früher) haben Angst: Zu versagen, auf dem glatten
Zentralfeld des Lebens auszurutschen, die wackligen Zähne in einem Stück Rinderfilet zurückzulassen oder - wenn es überhaupt noch dazu kommt - beim Tète-à-Tète erst zu lange zu brauchen, hinterher zu schnell einzuschlafen und währenddessen ans Essen zu denken. Die Jungen denken nur daran, wie sie bearbeitbare Objekte wie Autos, Frauen und Mobiltelefone bekommen, fühlen sich in der Testarena der Bars und Sportplätze pudelwohl und ahnen nicht, dass der faulige Geruch des Alters schon um sie herumweht.
  Der Test beweist übrigens, dass
die Ratten den Menschen voraus sind. Sie fügen sich in das Unvermeidliche. Alte Rattenböcke sind deutlich inaktiver und im Test weniger explorativ als jungadulte Ratten. Wozu auch? Was noch explorieren? Wo noch rumschnüffeln? Die weise Ratte weiss das alles. Der alte Mensch dagegen versucht sich im Bungeejumping, Ice-Klimbing, Power-Walking oder Abseiling und weiss doch: Die Zeit läuft ab.
  
Wir müssen Schluss machen, gerade kommt die Spedition, die unsere Arbeitsplätze abräumt. Die Redaktion wird aus Altersgründen aufgelöst. Ja, ja, ich gehe ja schon. Lass mich los! Wo ist denn der Treppenlift?! Ich kann doch nicht so schnell! Hilfe!

 

Zurück