Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. Januar 2004)
  

  Wir alle spüren das Alter, den Verfall, die Müdigkeit. Immer öfter schlafen wir bereits bei Vorabendfernsehen ein, vergessen die Namen wichtiger Kollegen oder schütten beim Frükstück Mehl statt Zucker in den Kaffee. Schönheit des Alters, Weisheit, Seelenfrieden? Alles Trugbilder, die uns die Angst vor dem Tod nehmen sollen. Die Dichter wussten es schon immer besser und liessen sich vom Altersekel befruchten. Francois Villon beklagt die Verwüstungen, die das Alter am Körper anrichtet. Beim italienischen Kommödiendichter Ruzzante wird der Alte karikiert als "halb krank, hustend wie ein verseuchtes Schaf, auf tausend Meilen nach dem Tod riechend".

  Allerdings gibt es staunenswerte Versuche, dem Verfall ein Schnippchen zu schlagen. Der gelernte Charmeur Johannes Heesters begeistert auf der Bühne Menschen, die seine Pfleger sein könnten, Boris Becker verfolgt trotz zunehmender geistiger Müdigkeit noch immer interessiert das Tagesgeschehen, und wir selbst müssen uns von grauhaarigen Senioren auf dem Tennisplatz erst den Parkplatz uund dann die blutjunge Spielpartnerin wegschnappen lassen.

  Das erstaunlichste Beispiel greiser Sinnlichkeit bot vergangene Woche ein 87-jähriger Spanier, der Vater wurde. Wir erwähnen das nur, weil es sich um Julio Iglesias Puga, den Vater des ebenfalls schon recht betagten Sängers Julio Iglesias handelt. Julio, der Sänger, bekommt mit 60 Jahren also ein Brüderchen, das die 47-jährige Mama auf dem Wege der künstlichen Befruchtung empfing. Enthalten wir uns oberflächlicher Kritik und freuen uns stattdessen auf die ersten Bilder des 93-jährigen Papas, der mit seinem Sohn übermütig im Garten herumtollt, ihn zur Einschulung geleitet und später, vieleicht 107-jährig, beim ersten Liebeskummer berät.

  Da mag Shakespeare tausendmal Recht haben, wenn er schreibt: "Viele Greise sehen aus, als wären sie schon tot; sie sind blass, langsam, schwerfällig und träge wie Blei." Auch langsame Bewegungen können, wie man sieht, zum Erfolg führen. Vor allem dann, wenn der Bewegungsablauf hundertfach eingeübt wurde.

  Hundertfach? Das dürfte untertrieben sein. Denn Puga galt und gilt als Frauenheld. Keiner, der es noch nötig hätte, in geckenhafter Garderobe die behaarte Brust zu präsentieren. Nein, ein Mann, der im Strassencafé herrisch den Gehstock hebt und einem vorbeiflanierenden Mädchen mit leichtem Schlag sein Interesse zu verstehen gibt.

  Puga kann sich übrigens auf namhafte Vorbilder berufen. Vom seligen Luis Trenker, dem Südtiroler Bergfex, erzählte man wahre Wunderdinge, was die Zeugungskraft im hohen Alter betraf. Nach dem täglichen Holzhacken und flüchtiger Leibwaschung habe er sich noch in hohem Alter ohne Gehhilfe brünstig jeder Wanderin genähert, die sein einsames Tal in Südtirol durchquerte. Von physiognomischen Übereinstimmungen vieler Heranwachsender in Trenkers Heimatregion spricht man, die weit über den braunen Teint, die blitzenden Augen und die karierten Hemden harausgehen. Im Gewühl der Madrider Innenstadt wären so blitzende Übereinstimmungen zwischen jungen Iglesianern natürlich weit schwerer auszumachen.

  Uns bleibt nur die Erkenntnis: Unterschätzt die Alten nicht! Würde man von jedem Gehstock eine DNA-Probe entnehmen und sie mit den wenigen noch vorhandenen Kindern abgleichen, käme man zu erstaunlichen Ergebnissen. Tod, wo ist dein Stachel?

 

Zurück