Die
Politik gilt gemeinhin als die Sphäre des kühlen Taktierens
und Finassierens. Sielschaften werden gewoben und Emotionen
beseite gewischt. Das Diktat des Gemeinwohls erfordert Disziplin,
Eloquenz und gute Leberwerte. In dieses trostlose Szenario brachen
eruptiv die jüngsten Ereignisse in Baden-Württemberg, die zeigten:
Politik ist mehr! Sie ist Leidenschaft, Wahnsinn und Eros. Das
uralte historische Movens, der Verrat und Treuebruch,
war wieder heimisch geworden im Land. Das Kleid des Verräters
wurde flugs Günther Oettinger umgehängt. Und siehe da: Erwin
Teufels ungeliebter Kronprinz liess hinter seinen vertrauten
stakkatohaften Satzfragmenten plötzlich shakespearehafte Dämonie
aufblitzen.
"Judas!", raunte man
in den Fluren des Landtags, ohne allerdings von einem Judaskuss
berichten zu können. Öffentliche Zärtlichkeiten sind in einem
pietistischen Land verpönt. Man küsst sich, wenn überhaupt,
nur, wenn man anderntags ausschlafen kann. Männer küssen
sich in Baden-Württemberg überhaupt nicht. Es gibt also
keine Zeugen für einen etwaigen Stempel des Verrats zwischen
Oettinger und Teufel. Andere machten weniger Hehl aus ihren
Gefühlen: Teufels treuer "Macduff" Christoph Palmer
raste vor Wut angesichts des vermuteten Treuebruchs. Sein uralter
Freund Pfeiffer, den er seit Menschengedenken herzlich knutscht
und pufft, hatte sich als Renegat entpuppt. Patsch! Doch diese
Maulschelle war kaum mehr als eine lumpige Ersatzhandlung. Sein
Rachedurst ist ungestillt: Ich kann nicht auf diese armseligen
Kernen schlagen, du musst es sein, Macbeth!
Atemlos
verfolgt die Bevölkerung dieses Männerdrama um Machtgier,
enttäuschte Freundschaft, Betrug und Gaukelei. Wer glaubte,
das 20. Jahrhundert, das Zeitalter des politischen Verrats,
sei vorbei, irrte sich schmerzlich. Natürlich: Den Vergleich
mit einem Fouché, Danton, Brutus oder Göring hält die aktuelle
Besetzung nicht aus. Vor allem Oettinger: Dieser gefühlskalte
Kronprinz als Judas? Ein Mann, der religiöse Inbrunst bisher
nur bei der Lektüre von Landtagsdrucksachen zeigte? Wer hätte
dem Juristen dieses dramatische Potenzial zugetraut?
Jetzt
kochen die Gerüchte: Was geschah wirklich in den Tagen der
Götterdämmerung? Trafen sich die Blicke der beiden schicksalfat
verwobenen Politiker noch einmal auf der Herrentoilette der
CDU-Landtagsfraktion? Hörte man die Worte: "Was du tust,
das tue bald." Schauderte es Oettinger am Ende vor dem
eigenen Tun? "Sterne, verhüllt euer Feuer! Lasst die Nacht
nicht sehen, was für schwarze Gedanken sich tief aus meiner
Brust emporarbeiten", habe er selbstvergessen gemurmelt,
hiess es.
Doch es gibt kein Zurück mehr.
Ginge es nach Shakespeare, steuerte alles einem schaurigen Ende
zu. "Bis der Birnam-Wald sich nach Dunsinan bewegt, kenne
keine Furcht", wurde Macbeth prophezeit. Und dann marschierten
die Bäume doch, Macbeth fiel und musste, Gott sei Dank, nicht
mehr mit ansehen, wie sein Kopf triumphierend aufgespiesst wurde.
Oettinger allerdings weiss: Dass Bäume marschieren, ist angesichts
des Waldsterbens heute unwahrscheinlich.
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