Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (19. Dezember 2004)
  

  Wieder steht Weihanchten wo? Vor der Tür. WIeder machen Millionen Gänse was? Sie sterben. WIeder drücken Millionen von Kindern wen an die Schaufenster? Ihre Nasen. Diese Vorgänge wiederholen sich mit prozesshafter Regelmässigkeit. Warum noch darüber schreiben? Wir wissen es nicht, müssen aber diese Spalten irgendwie füllen. Und kurz vor Weihnachten muss man etwas über Weihnachten schreiben. Das ist tarifvertraglich geregelt.

  Vieleicht etwas über die Liebe? An Weihnachten senkt sich ja die Liebe über die Menschen wie ein silberner Nebel, der auch Angoraunterwäsche durchdringt und Gänsehaut verursacht. Man könnte ja über die Liebe an Weihnachten eine Geschichte schreiben. Sie würde von der Verkäuferin in der Filiale eines Lebensmittelmarkts handeln, die 36 Stunden am Tag arbeiten muss und dafür ungefähr 112 Euro netto verdient. Jeden Morgen fährt sie mit dem Bus sieben Stunden von ihrer düsteren Vorstadtsiedlung zur Arbeit. Auch an diesem Morgen.

  Nachdem sie dem Filialleiter flüchtig die Füsse geküsst hat, wischt sie mit ihrer Kittelschürze das Kondenswasser von den Schweineschnitzeln und Weihnachtseinkäufe im Supermarktüberschreibt mit Filzstift das ursprüngliche Verfallsdatum ("haltbar bis Kriegsende"). Dann kassiert sie wie rasend Geld von den Kunden, die sich an Weihnachten etwas gönnen wollen und tonnenweise Käsekrainer aus Bulgarien, Dosenbeir und albanischen Rotwein kaufen (siehe Bild). Für die Kinder der Kunden, von denen viele das ganze Jahr über nur Weingummi bekamen, gibt es zu Weihnachten Weingummi.

  Es wird schon dunkel an diesem Vorweihnachtstag, die letzten Kampfhunde haben ihren Einkauf beendet und lassen mysteriöse Pfützen in der Filiale zurück. Draussen pfeift ein kalter Wind. Mit Schaudern denkt unsere Verkäuferin an den langen Heimweg auf der von Wölfen unsicher gemachten Ausfallstrasse. Müde streift sie ihren löchrigen Mantel aus Hasenfell über.

  So, liebe Leser, jetzt kommt's. Jetzt kommt die Liebe in unsere Geschichte. In diesem Moment nähmlich tritt der junge Filialleiter an die Kasse. Er hat seine Kunststoffkrawatte gelockert und ein nachdenkliches Lächeln im Gesicht. "Sie sind ja jetzt auch schon vier Wochen bei uns", sagt er. So lange hat noch nie jemand durchgehalten. Und er fügt verlegen hinzu: "Für Sie!" Damit drückt er ihr einen kleinen Gegenstand in die Hand.

  Hier bauen wir die Spannung unserer Weihnachtsgeschichte bis zur Unerträglichkeit auf. Unsere Verkäuferin schuckt, kämpft mit den Tränen und wagt nicht, das Geschenk anzusehen. Dann ein verstolener Blick. Es ist der Vierkantschlüssel für die Toilette! Die Kolleginnen hatten ihr von diesem Gegenstand immer wieder erzählt, als sie draussen ihre Notdurft verrichteten. Doch niemand hatte ihn je gesehen. Und jetzt das! Plötzlich scheint es ihr, als erleuchte ein warmes Licht die Kühlregale. Als lächelten die Schweineschnitzel, als tanzten die Wurstscheiben eine Polonaise. Jetzt weiss sie: Es ist Weihnachten!

  Wie, Sie finden diese Geschichte überhaubt nicht weihnachtlich? Geschmacklos? Zynisch? Obsolet? Dann schicken Sie uns bitte Vorschläge für eine Weihnachtsgeschichte im nächsten Jahr. Bitte! Bitte!!

 

Zurück