Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. Februar 2005)
  

  Wir stehen hier vor der nahaezu unerfüllbaren Aufgabe, eine anständige Kolumne zu schreiben. Die Anordnung kam - unter uns - von ganz oben. Jede Spalte dieser Zeitung, so die Anweisung, muss sich dem Thema Anstand unterordnen. Keine Beleidigungen, ehrabschneidenden Äusserungen, keine Zweideutigkeiten, Eindeutigkeiten, Zoten und Sottisen.

  Gut. Mit diesen völlig überflüssigen Präliminarien haben wir bereits 15 Zeilen gewonnen, ohne auszurutschen. Aber der Mittelteil einer Kolumne ist erfahrungsgemäss der schwierigste Abschnitt. Da jeder normale Autor sein Pulver bereits zu Beginn eines Artikel verschossen hat, flüchtet er sich unweigerlich in das schützende Reich der Vulgarität und des Zynismus. Heute geht das nicht. Jede auch noch so kleine Obszönität muss ausgemerzt werden. Sehen Sie die Flecken auf dem Papier? Gerade eben haben wir einige schmutzige Gedanken zerquetscht.



  Damit sind wir schon bei Zeile 33. Doch die Luft wird dünn. Denn worüber schreiben, ohne unanständig zu werden? Politik? Wirtschaft? Sport? Wo man hinsieht, Unrat und Gammelei. Früher erkannte man das Unanständige noch an Äusserlichkeiten: Bomberjacken, Mundgeruch, Protzerei. Heute dagegen kann man sich wie eine offene Hose benehmen, wenn man nur einen dreitteiligen Anzug trägt. Allein diese Zeitung bildet noch eine Festung von Vornehmheit, Stil und Eleganz.

  Um dies zu untermauern, zitieren wir noch rasch Goethes "Wilhelm Meister": "Man soll alles vermeiden, was gemein ist (...) der edle Mensch kann sich in Momenten vernachlässigen. Der vornehme nie." Goethe hat leicht reden. Er wirkte in einer Welt ohne Privatfernsehen, Dosenpfand, Fussballumkleidekabinen und Hütchenspieler. Er musste nicht in Fussgängerzonen schlampigen Frauenzimmern und telefonierenden Wichtigtuern ausweichen.

  Unsere Zeitung jedenfalls trotzt diesem Zeitgeist und wird seinen Ruf, Deutschlands anständigste Wochenzeitung zu sein, würdevoll und stolz zu verteidigen: Edle Gedanken, sauberer Satzbau, untadelige Gesprächspartner. Und damit sind wir endlich bei Zeile 70, Gott sei Dank.

 

Zurück