Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. Januar 2006)
  

  Auch heute noch stösst der aufgeklärte Mensch und Bürger, der Erbe Kants und Humbolts, auf Sachverhalte, die ihn staunen machen. So gibt es offenbar noch immer Landstriche und Regionen, wo der Mensch mit dem Tier in einer Gemeinschaft lebt, wie sie in den industriellen Nationen längst Geschichte ist (siehe Bild).

 

  Während im technisierten Mitteleuropa ein Huhn industriell geschlachtet und zerlegt wird, seine Flügel in einer italienischen Autobahnraststätte und die Brust in einem Braunschweiger Tiefkühlregal angeboten wird, gilt im türkischen Anatolien das Prinzip der Ganzheitlichkeit. Mensch und Huhn leben in trauter Gemeinschaft und kuscheln bisweilen unter derselben Decke. Es ist ein Geben und Nehmen. Durch Ackerbau und Schmuggel reich gewordene Hühner teilen ihre Gehöfte mit armen Bauern und geben gerne, was am Tisch übrig bleibt. In Mitteleuropa dagegen haben sich Mensch und Huhn entfremdet. Allenfalls sieht man in einigen bäuerlichen Schlafzimmern eine stolze Henne in Öl an der Wand hängen oder ein Stoffhuhn auf dem Rücksitz eines Autos bedächtig nicken.



  Indes hat die sanfte Gemeinschaft von Mensch und Tier ihre Schattenseiten. Grippeviren breiten sich im engen Miteinander schneller aus als in der anonymen Grossstadt. So müssen sich türkische Hühner immer öfter bittere Vorwürfe anhören. Erst ihre aus falsch verstandener Humanität geborene Lebensgemeinschaft mit dem Menschen habe die Ausbreitung der Vogelgrippe möglich gemacht. Ob das türkische Geflügel seine Haltung ändert, um den EU-Beitritt des Landes nicht zu gefährden, muss abgewartet werden.

  Doch lässt sich die hygienische Trennung von Mensch und Tier überhaupt nachweisen? Immerhin: Die Wissenschaft arbeitet bereits an entsprechenden Verfahren. Forscher haben nähmlich Medienberichten zufolge Schweine gezüchtet, die bei bestimmten Lichtverhältnissen grün leuchten. Sollte dieses Verfahren auf Hühner übertragbar sein, kann keines mehr unbeobachtet unter eine fremde Decke schlüpfen.

 

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