Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. Februar 2006)
  

  Zugfahrpläne sind ja eine spannende Sache. Nehmen wir zum Beispiel die Strecke Moskau - Ulan Bator - Peking. Der Zug Nummer 2 fährt an allen ungeraden Tagen um 15:27 in Moskau ab, kommt am Tag fünf um 10:18 Uhr nach Ulaan Ude. Zug Nummer 264 fährt täglich um 20:10 in Irkutsk ab und trifft am Freitag 15:33 Uhr in Peking ein. Gesamtstrecke: 7867 Kilometer. In diesen Zügen sitzend, lässt man sich gerne vom Trommeln der Räder auf dem Permafrostboden in schläfrige Tagträume versetzen. Sinnend blickt man zum Fenster heraus, lässt ausgetrocknete Seen, lecke Ölleitungen und Straflager an sich vorüberfliegen. Bis dann Punkt 15:33 Uhr der Schaffner den Hauptbahnhof Peking ausruft.

  Es muss auf einer dieser Fahrten gewesen sein, als der Chinese die Vorteile des Kopiergeräts kennen lernte. Wer weiss, vieleicht hatte ein Aussendienstler der Fira Samsung oder Kyocera eine leere Kartusche im Zug liegen lassen, worauf die Chinesen kurzerhand das passende Gerät vom Typ "Morgenröte im blühenden Reisfeld" drum herum bauten. Es blieb zunächst unbeachtet, weil man nicht über kopiertaugliches Reispapier verfügte. Bis ein wagemutiger Chinese auf die Idee kam, einfach mal sich selbst auf die Glasplatte zu legen. Das Beispiel machte Schule: Durch stetes Kopieren stieg die Zahl der Chinesen schnell auf mehrere Milliarden.

  In Europa, wo Individualität gross geschrieben wird, betrachtete man diese Entwicklung mit einer Mischung aus Amüsement und Grusel. Noch vor kurzem träumte man davon, den Chinesen milliardenfach Autos, Pornohefte und Nierensteinzertrümmerer zu verkaufen. Jetzt zeigte sich: Kaum ist das Zeug im Land, wird es auch schon nachgemacht, gefälscht, vervielfältigt. In dieser Woche war es der Transrapid, jener pfeilschnelle Zug, der in Deutschland immer im Kreis herumfährt. Kaum nach China verkauft (siehe Bild), wird er - nicht faul - kopiert. Dem Airbus droht dasselbe Schicksal. Gegenmassnahmen blieben wirkungslos. Chinesische Markenartikel wie Gefängnisse, Riesen-Staudämme und gusseiserne Atomraketen lassen sich auf Grund ihres grossen Formats auf westlichen Geräten nicht kopieren.



  Unsere Politiker tun ihr Möglichstes, um die Chinesen zu mehr Redlichkeit zu bewegen. Bisher mit wenig Erfolg. Zwar hatte Chinas Handelsminister Bo bereits 2004 eine Kampagne zum besseren Schutz geistigen Eigentums angekündigt. Bis heute weiss aber niemand, ob Bo echt oder nicht doch nur eine Kopie seiner selbst war.

  Eine Hoffnung bleibt aber: Wenn Airbus und Transrapid kopiert sind und die Strecke Moskau - Irkutsk - Peking und zurück bedienen, wird sich die Reisezeit auf dieser Route um mehrere Tage verkürzen. Der Zug träfe dann so gegen 14:23 Uhr in Peking ein. Zum Fälschen und Kopieren bliebe dann keine Zeit mehr.

 

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