Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. März 2006)
  

  Wie hiess es damals? Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Das waren noch Zeiten, als die schlesischen Weber zu globalen Textil-Holdings fusionierten und walisische Minenarbeiter mit türkischen Tagelöhnern den ersten Merger of equals, also eine Fusion unter Gleichen, eingingen. Die Vereinigung, die Fusion (von fusio = Guss, Ausguss, Ausfluss) übt seit diesen Pioniertagen eine magische Faszination auf den Menschen aus.

  Weltweit wird fusioniert, dass die Schwarte kracht: Lucent Technologies und Alcatel verhandeln über eine Fusion. Nikko Cordial Corp. will mit der Tokyo Star Bank fusionieren. Schering und Bayer haben sich auf einen Zusammenschluss geeinigt. Siemens liebäugelt mit dem französischen Elektronikausrüster Legrand. Wer zu spät kommt, findet niemanden mehr, mit dem er fusionieren könnte, und muss die Kantine mit dem Fahrdienst zusammenlegen.

  Befürworter der Fusion berufen sich auf die Natur. Eizelle und Samenzelle fusionieren auch in Zeiten niedriger Geburtenzahlen wacker, wenn man sie lässt (siehe Bild). Übertragen auf die Wirtschaft müssten nach den laufenden Fusionen massenhaft klitzekleine Banken, vor sich brabbelnde Pharmaunternehmen und knuddelige IT-Firmen auf die Welt kommen. Leider gehen die meisten von ihnen schnell wieder ein, weil die Abstosskräfte zu gross sind. Was da auch alles zusammenwachsen soll! Japaner, die sich vor jeder zusammengeschraubten Kurbelwelle verbeugen. Franzosen, die für den Gang auf die Toilette das Okay der Zentrale in Paris einholen müssen. Deutsche, die bei Weihnachtsfeiern mit ihren Sekretärinnen fusionieren, und Finnen, die in wichtigen Meetings melancholisch vor sich hin schweigen.



  Diese kulturellen Unterschiede stören die Fusions-Geburtshelfer - die Vermittler, Analysten und Berater - nicht. Sie lassen vergnügt ihre glänzenden Äuglein durchs Land wandern, um die nächste Verschmelzung vorzubereiten. Die Fusionierung unserer Gesellschaft ist nicht aufzuhalten. In wenigen Jahren wird alles mit allem fusioniert haben. Politik, Sport, Kultur und Gesellschaft werden mit einer Stimme sprechen. Es gibt ein Dax-Unternehmen, eine politische Partei, einen Bundesligaclub, ein Gedicht von Goethe und ein Lied von Dieter Bohlen. Im allerletzten Schritt fusionieren diese Kernbereiche dann mit sich selbst. Es entsteht ein schwarzes Loch, in das der letzte Rest von Materie hineingesaugt wird. Dann gibt es endlich gar nichts mehr. Und wir können uns ausruhen.

 

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