Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. Mai 2006)
  

  Mit den Berufen ist das so eine Sache. Wer erinnert sich noch an stolze Gewerke wie Flösser, Salzsieder oder Magnetiseure? Sie sind allesamt verschwunden. Flösser und Schindelmacher kämpften noch lange für die 36-Stunden-Woche, während Magnetiseure die Zeichen der Zeit erkannten und sich - nicht faul - zu Ärzten umschulen liessen. Geholfen hat es nichts. Heute sind die Ärzte längst wieder zum Tagelöhnertum zurückgekehrt. Nach einem kostspieligen Studium landen sie meist in den Fussgängerzonen grosser Städte, wo sie den vorbeieilenden Passanten mit verdrecktem Operationsbesteck Hühneraugen entfernen und Knochenbrüche einrenken. In Bittschriften verweisen sie darauf, seit Tagen nur Gelbwurst aus der Krankenhauskantine gegessen zu haben. Um Überleben zu können, bieten Urologen bei der Spargelernte ihre Hilfe an, Unfallchirurgen drängen in die Fleischverarbeitung und Anästhestisten mit mehrjähriger Berufserfahrung rühren Cocktails an.

  Lebendig ist der Ethos des Heilers nur noch in den Büros der Chefärzte. Schon im frühen Morgengrauen sitzen die Nachfolger der Sauerbruchs und Virchows tief gebeugt über ihren Kontoauszügen, tätscheln die faltigen Hände steinreicher Privatpatientinnen und wundern sich über den Lärm, der von draussen hereindringt. Dort draussen revoltieren ihre hungernden Kollegen, deren Aufstände aber vom Militär blutig niedergeschlagen werden. Unruhige Zeiten! DIe Klinikchefs runzeln die Stirn und ziehen rasch die schweren Vorhänge zu.

  So merken sie nicht, dass ihr Reich zerfällt (siehe Bild). Durch zerbrochene Fenster weht Luft in die Hallen der Heilkunst. In der Kantine schwitzt Gelbwurst vor sich hin und zur Visite kommen nur noch die bosnischen Putzfrauen.



  Nur einige ältere Mitbürger erinnern sich an die goldenen Zeiten der Heilkunde. Damals konnten sie alle zwei Wochen den Hausarzt aufsuchen, um ein wenig zu plaudern. Danach gingen sie zu einer der mehreren hunderten Apotheken in ihrer Strasse, um noch mehr zu plaudern. Schon war es Zeit für den Nachmittagskaffee. Doch irgendwann wurden die Ärzte wortkarg und die Apotheken durch Dönerbuden ersetzt. Kranke bleiben jetzt zu Hause und werden gesund oder auch nicht.

  Morgens schauen sie aus dem Fenster und warten darauf, dass ein reisender Magnetiseur seine Dienste feilbietet. So schliesst sich der Kreis.

 

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