Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (09. Juli 2006)
  

  Psst, liebe Leser: Kommen Sie mal näher. Noch näher. Ganz nahe. Noch ein Stückchen. Jetzt! Haben Sie es gespürt? Das war ein Kuss, den Ihnen unsere Redaktion gegeben hat. Anlass: Der internationale Tag des Kusses am 5. Juli. Dieser Kuss war natürlich keine echte Intimität, sondern eher ein Küsschen, dass sich gute Freunde beiläufig auf die Wange hauchen. Dem Deutschen fällt es schwer. Er lässt entweder seine Backe schwer auf die des Gegenübers klatschen und verleiht dadurch dem Begrüssungskuss ein wagnerianisches Pathos. Oder er versucht mediterrane Leichtigkeit zu imitieren, schnellt aber mit dem Kopf zu heftig nach vorn, was beim Adressaten nicht selten zu Jochbein-Stauchungen und Nasenbluten führt. Küssen ist also nicht leicht.

  Wir haben deshalb für Sie eine kleine Übung vorbereitet: Nehmen Sie diese Zeilen, halten Sie jetzt einen Abstand von etwa 20 Zentimeter zum Gesicht und drücken Sie einen leichten Kuss auf die freien Zeilen, die jetzt kommen. Bitte keinen Zungenkuss!









  Fertig! Ist das Papier gerissen? Gibt es einen signifikanten Abdruck von Lippenstift? Haben SIe die Spalte verfehlt und haben Sie die Spalte nebenan geküsst? Ist das Papier nass? Dann müssen SIe noch mal nachsteuern. Wiederholen Sie die Übung mit der Zeitung des Nachbarn, dann mit dem Nachbarn selbst. Wer beim Küssen immer noch zu viel Gas gibt, sollte sich vorstellen, einen Pudel oder Angela Merkel zu küssen.

  Letzteres sollte allerdings schwer fallen, denn Küsse unter Politikern sind selten geworden. Allenfalls in Wahlkampfzeiten wird für das Fernsehen geküsst, um familiäre Harmonie und nachhaltige Eheseligkeit zu vermitteln. Bei Edmund Stoiber sah dies jedoch meist so aus, als wolle er statt seiner Frau einen brennenden Gasherd busseln. Auch die sozialistischen Bruderküsse werden mit Misstrauen beäugt, konnte doch das Bakterium der Freiheit beim Zungenkuss zwischen Honecker und Gorbatschow ungehindert von einem Land ins andere wechseln.

  Zeitungsleser haben es einfacher. Nach der Lektüre geben sie dem Blatt den Todeskuss und werfen es in den Müll. Zwar ist es in einigen Staaten der USA verboten, am Sonntag eine Frau zu küssen. Für Zeitungen trifft das aber nicht zu.

 

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