Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (24. September 2006)
  

  Unsere mehrfach preisgekrönte Wissenschaftsredaktion packt heute ein Thema an, das Männer an ihrer sensiblesten Stelle berührt: Die Frage, ob es auf die Grösse ankommt. Im Internet buhlen zahlreiche Anbieter von Penisverlängerungen um frustrierte Männer. Ihr Versprechen: Mehr Lebensqualität. "Lächerlich", höhnte der Kollege - ein Verstandesmensch mit Promotion - , der sich zum mutigen Selbstversuch bereit erklärt hat. Hier sein vorläufiger Erfahrensbericht (aus Gründen des Datenschutzes muss sein Name an dieser Stelleungenannt bleiben).

  Tag 1:  Ungewohntes Gefühl in der Leistengegend. Man hat mir gesagt, es seien jetzt zwei Zentimeter mehr. Der Eingriff war unkompliziert. Ich rechne die Kosten per Spesenformular ab: Operation, Übernachtung, zweimal Taxi, zwei Zeitschriften, drei Pils. Bin gespannt, ob die Geschäftsleitung die Abrechnung durchwinkt oder ob Rückfragen kommen.

  Tag 2:  Morgens ein Blick in den Spiegel. Irgendetwas an meinen Haaren ist anders. Sie sehen kräftiger aus, voller. Die lichten Stellen an den Schläfen sind verschwunden. Kann mich nur schwer auf die Arbeit konzentrieren. Namen und Gesichter ehemaliger Freundinnen schiessen mir durch den Kopf. Wie sie heute wohl leben? Ob sie glücklich geworden sind? Vieleicht sollte ich mal anrufen. Mittags Kantine. Die Frau an der Essensausgabe wünscht mir guten Appetit. Das hat sie noch nie getan. Die Essensportion, die sie mir auf den Teller schaufelt, ist grösser als sonst.

  Tag 3:  Ich entdecke in einem Boulevardblatt ein Gewinnspiel. Eine lächerliche Frage beantworten, eine teure Telefonnummer wählen, ein schickes Cabrio gewinnen. Mtmasslich der reine Nepp, trotzdem rufe ich an. Abends Einkauf im Supermarkt. Die junge Frau an der Kasse fängt meinen Blick ein. Für einen langen Moment weiten sich ihre Pupillen, ihre Augen lodern wie Kaminfeuer. Im Weggehen drehe ich mich um: SIe schaut mir hinterher.


  Män | ner, die



  Tag 4:  Sitze in einem Café und lese den "Kicker", um meine Fussballwetten fürs Wochenende vorzubereiten. Das Café ist fast leer. Eine Frau, attraktiv, kommt herein, schaut sich um, geht zu meinem Tisch, fragt, ob sie sich zu mir setzen dürfte. Sie setzt sich, lächelt und sagt, es sei seltsam, dass ein Mann, dem man seine Intelligenz von weiten ansehe, eine solche Zeitung lese. Ob das eine ironische Geste sei? Ich verstehe nicht, was sie meint. Sie sagt, wir kennen uns von früher. Sie habe Romanistik und Kunstgeschichte studiert, bis sie ihren heutigen Ex-Mann kennen gelernt habe. Sie meint, wir hätten an der Uni einige gemeinsame Seminare belegt. Ich habe noch nie im Leben ein Romanistikseminar belegt; ich habe Abwassertechnologie studiert. Sie fragt, ob ich geschickte Hände habe. Bei ihr zu Hause tropft der Wasserhahn, ob ich da helfen könne. Ich verstehe. Ich kann helfen.

  Tag 5:  Die Marketingabteilung der Boulevardzeitung ruft an. Ich habe das Cabrio gewonnen. Ich habe beschlossen, meine Haare länger wachsen zu lassen, jetzt wo sie wieder so voll und kräftig sind. Abends Einkauf im Supermarkt. Drei Kassen, drei gleich lange Schlangen davor. Ich entscheide mich für die rechte. In meiner Schlange geht es am schnellsten vorwärts, ausserdem sitzt an der Kasse die junge Frau von vorgestern. Diesmal schaut sie mich nicht an, hält den Blick starr auf ihre Hände gerichtet, die meine Einkäufe über den Scanner schieben. Mit dem Kassenbon schiebt sie mir einen zweiten Zettel zu. Darauf steht "Mandy" mit einer Mobilfunknummer. Im Weggehen drehe ich mich um: Sie schaut mir nicht hinterher.

  Tag 6:  Die Personalchefin eines grossen Bio-Tech-Unternehmens ruft an und sagt, in der Stabstelle Interne Kommunikation der Firma werde eine neue Position geschaffen. Diese sei wie zugeschnitten auf einen renommierten Wissenschaftsredekateur wie mich. 14 Gehälter, Erfolgsbeteiligung, Mittelklasse-Dienstwagen. Übrigens lasse Katrin grüssen. Katrin? Ach so, die Frau aus dem Café. Die Personalchefin sagt, sie wisse, wie angespannt Einstellungskandidaten in solchen Gesprächen meist seien, und wolle es diesmal anders machen. Sie habe vor, einen Tisch in einem gemütlichen Hotelrestaurant zu reservieren. Falls das Gespräch länger dauere, könne man problemlos eine Übernachtung buchen. Ich signalisiere Interesse.

  Tag 7:  Ich kann keinen Zusammenhang zwischen dem sprunghaften Gewinn an Lebensqualität in der vergangenen Woche und dem operativen Eingriff erkennen. Ich bin überzeugt, es handelt sich um eine Verkettung von Zufällen. Dennoch verfasse ich einen vorläufigen Erfahrungsbericht.

 

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