Unsere
mehrfach preisgekrönte Wissenschaftsredaktion packt heute ein
Thema an, das Männer an ihrer sensiblesten Stelle berührt: Die
Frage, ob es auf die Grösse ankommt. Im Internet buhlen
zahlreiche Anbieter von Penisverlängerungen um frustrierte Männer.
Ihr Versprechen: Mehr Lebensqualität. "Lächerlich",
höhnte der Kollege - ein Verstandesmensch mit Promotion - ,
der sich zum mutigen Selbstversuch bereit erklärt hat. Hier
sein vorläufiger Erfahrensbericht (aus Gründen des Datenschutzes
muss sein Name an dieser Stelleungenannt bleiben).
Tag
1: Ungewohntes Gefühl in der Leistengegend. Man
hat mir gesagt, es seien jetzt zwei Zentimeter mehr. Der Eingriff
war unkompliziert. Ich rechne die Kosten per Spesenformular
ab: Operation, Übernachtung, zweimal Taxi, zwei Zeitschriften,
drei Pils. Bin gespannt, ob die Geschäftsleitung die Abrechnung
durchwinkt oder ob Rückfragen kommen.
Tag
2: Morgens ein Blick in den Spiegel. Irgendetwas
an meinen Haaren ist anders. Sie sehen kräftiger aus, voller.
Die lichten Stellen an den Schläfen sind verschwunden. Kann
mich nur schwer auf die Arbeit konzentrieren. Namen und Gesichter
ehemaliger Freundinnen schiessen mir durch den Kopf. Wie sie
heute wohl leben? Ob sie glücklich geworden sind? Vieleicht
sollte ich mal anrufen. Mittags Kantine. Die Frau an der Essensausgabe
wünscht mir guten Appetit. Das hat sie noch nie getan. Die Essensportion,
die sie mir auf den Teller schaufelt, ist grösser als sonst.
Tag
3: Ich entdecke in einem Boulevardblatt ein Gewinnspiel.
Eine lächerliche Frage beantworten, eine teure Telefonnummer
wählen, ein schickes Cabrio gewinnen. Mtmasslich der reine Nepp,
trotzdem rufe ich an. Abends Einkauf im Supermarkt. Die junge
Frau an der Kasse fängt meinen Blick ein. Für einen langen Moment
weiten sich ihre Pupillen, ihre Augen lodern wie Kaminfeuer.
Im Weggehen drehe ich mich um: SIe schaut mir hinterher.
Män
| ner, die
Tag
4: Sitze in einem Café und lese den "Kicker",
um meine Fussballwetten fürs Wochenende vorzubereiten. Das Café
ist fast leer. Eine Frau, attraktiv, kommt herein, schaut sich
um, geht zu meinem Tisch, fragt, ob sie sich zu mir setzen dürfte.
Sie setzt sich, lächelt und sagt, es sei seltsam, dass ein Mann,
dem man seine Intelligenz von weiten ansehe, eine solche Zeitung
lese. Ob das eine ironische Geste sei? Ich verstehe nicht, was
sie meint. Sie sagt, wir kennen uns von früher. Sie habe Romanistik
und Kunstgeschichte studiert, bis sie ihren heutigen Ex-Mann
kennen gelernt habe. Sie meint, wir hätten an der Uni einige
gemeinsame Seminare belegt. Ich habe noch nie im Leben ein Romanistikseminar
belegt; ich habe Abwassertechnologie studiert. Sie fragt, ob
ich geschickte Hände habe. Bei ihr zu Hause tropft der Wasserhahn,
ob ich da helfen könne. Ich verstehe. Ich kann helfen.
Tag
5: Die Marketingabteilung der Boulevardzeitung
ruft an. Ich habe das Cabrio gewonnen. Ich habe beschlossen,
meine Haare länger wachsen zu lassen, jetzt wo sie wieder so
voll und kräftig sind. Abends Einkauf im Supermarkt. Drei Kassen,
drei gleich lange Schlangen davor. Ich entscheide mich für die
rechte. In meiner Schlange geht es am schnellsten vorwärts,
ausserdem sitzt an der Kasse die junge Frau von vorgestern.
Diesmal schaut sie mich nicht an, hält den Blick starr auf ihre
Hände gerichtet, die meine Einkäufe über den Scanner schieben.
Mit dem Kassenbon schiebt sie mir einen zweiten Zettel zu. Darauf
steht "Mandy" mit einer Mobilfunknummer. Im Weggehen
drehe ich mich um: Sie schaut mir nicht hinterher.
Tag
6: Die Personalchefin eines grossen Bio-Tech-Unternehmens
ruft an und sagt, in der Stabstelle Interne Kommunikation der
Firma werde eine neue Position geschaffen. Diese sei wie zugeschnitten
auf einen renommierten Wissenschaftsredekateur wie mich. 14
Gehälter, Erfolgsbeteiligung, Mittelklasse-Dienstwagen. Übrigens
lasse Katrin grüssen. Katrin? Ach so, die Frau aus dem Café.
Die Personalchefin sagt, sie wisse, wie angespannt Einstellungskandidaten
in solchen Gesprächen meist seien, und wolle es diesmal anders
machen. Sie habe vor, einen Tisch in einem gemütlichen Hotelrestaurant
zu reservieren. Falls das Gespräch länger dauere, könne man
problemlos eine Übernachtung buchen. Ich signalisiere Interesse.
Tag
7: Ich kann keinen Zusammenhang zwischen dem
sprunghaften Gewinn an Lebensqualität in der vergangenen Woche
und dem operativen Eingriff erkennen. Ich bin überzeugt, es
handelt sich um eine Verkettung von Zufällen. Dennoch
verfasse ich einen vorläufigen Erfahrungsbericht.
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