Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. März 2007)
  

  Die Ecke, auch der Eckpunkt, ist in der Geometrie ein besonders ausgezeichneter Punkt der Grenzlinie oder -fläche eines Gebietes. Die Ecken von zweidimensionalen Polygonen sind die Punkte, an denen die begrenzenden Linien, die Kanten, aufeinandertreffen. Im Falle der dreidimensionalen Poyederbezeichnet man die Punkte, an denen (mindestens) drei der begrenzenden Flächen aufeinandertreffen, als Ecken. Im Falle eines n-dimensionalen Polyeders ist eine Ecke dadurch charakterisiert, dass sie nicht als echte Konvexkombination zweier verschiedener Punkte des Polyeders dargestellt werden kann.

  Wer diese kompakten Ausführungen, die wir ungekürzt einem Internetlexikon entnommen haben, nicht versteht, könnte vor unangenehmen Zeiten stehen. Die Ecke, genauer gesagt: die Eckkneipe wird nämlich künftig eine zentrale Rolle iim Freizeitverhalten der Deutschen spielen.

  Bei den zahllosen Ausnahmegenehmigungen für das jüngst erlassene Rauchverbot sind nähmlich neben Bier- und Festzelt-Veranstaltungen an ungeraden Feiertagen nach Neumond, türkischen Teestuben, Nebenzimmern von Teestuben und Tiergehegen ohne türkisches Nebenzimmer auch die so genannten Eckkneipen  aufgezählt. Die Eckkneipe zeichnet sich dadurch aus, dass sie am Kreuzungspunkt von zweidimensionalen Polygonen, also an einer starkbefahrenen Kreuzung in einem tristen Vorort irgendeiner konvex gelegenen Vorortbrache liegt. Der Tresen der Eckkneipe wird von Spitzendecken, gewaltigen irdenen Aschenbechern (siehe Bild) und von einer Glasvitrine geschmückt, in der sich einige Buletten langweilen, deren Herstellungsdatum ungefähr die in die Zeit fällt, als in Deutschland zum ersten Mal über ein Rauchverbot diskutiert wurde.


  
  Dort also darf künftig weiter gequalmt und gedampft werden, bis diue Vorhänge so gelb wie die Fingernägel werden. Deutschland befindet sich am Vorabend einer gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzung. Die Eckkneipe, früher von dem urbanen Flaneuren allenfalls mit mitleidig-angewidertem Blick bedacht, wird zum neuem Treffpunkt der Raucher. Politiker treffen auf Modeschöpfer und Manager kneifen ihren Zigarren so resolut die Köpfe ab, als hätten sie Betriebsräte vor sich. Die bisherigen Stammgäste - bis heute angewiesen auf den Nachschub an slowenischen Billigrauchwaren - werden zu begeisterten Passivrauchern, weil sie erstmals das feine Aroma von exclusiven Zigarettenmarken inhalieren dürfen. Mancher wundert sich, dass die Buletten plötzlich mmit Scampi dekoriert sind und der früher hemdsärmelige Schankwirt eine weisse Schürze trägt. Irgendwann liest der Kneipengänger Freitagnachmittag, dass über der Tür nicht mehr "Bierhexe" oder "Zur Goldenen Kanone" steht, sondern "Borchart's" oder "Fritz's".

  Der Trend zur Eckigkeit ist also nicht aufzuhalten. Immer mehr Bistros und Klubs werden sich freiwillig zu Eckkneipen umwidmen, werden eckige Buletten gereicht. Eckgrundstücke werden sündhaft teuer und wenn da nur noch der Stossseufzer Ecce Homo einfällt, der hat vermutlich Recht.
 

 

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