Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (24. Februar 2008)
 

   Der moderne Mensch sucht sein Seelenheil vorwiegend in beruflichem Erfolg, beim Gleitschirmfliegen oder beim Sammeln von Bierfilzen. Doch ist die Ahnung, dass das wahre Heil erst jenseits der irdischen Existenz auf uns wartet, in Kultur und Alltag noch gegenwärtig. Insgeheim wissen wir ale: Der finale Bestimmungsort unserer Seele ist das Paradies. Unser Aufenhalt im Diesseits ist nur vorübergehend und wird dementsprechend von den meisten Menschen mehr schlecht als recht verwaltet.

   Um uns die Wartezeit bis zur
Erlösung zu verkürzen, bietet die Industrie vorgefertigte Paradies-Surrogate an, die als Bettenparadies, Einkaufsparadies, Inselparadies in der Südsee oder als Paradiescreme zum Dessert erhältlich sind. Jedoch sind diese Paradiese von allenfalls mittelmässiger Qualität, auch fehlt ihnen jene Ahnung von Ewigkeit, die der Mensch doch hinter den Dingen sucht. Schaut man beispielsweise, nur mit einer Badehose bekleidet, in einem Südseeparadies in den Spiegel, so offenbart die unvorteilhaft gewölbte Partie um Bauch und Hüften, dass uns dieses Ersatzparadies der Vollkommenheit keinen Schritt näher gebracht hat.

   Auch
Steuern kennen diese Sehnsucht, die uns Menschen treibt. Auch eine ganz normale Einkommensteuer wünscht sich Höheres als dieses elende Finanzamt, in welchem sie verwaltet wird. Durch dessen Treppenhäuser zur Mittagszeit der Dunst von Kohlrouladen wabert. Wo graugesichtige Beamte Steuern nicht als fühlende Wesen respektieren, sondern sie zu Nummern degradieren, verbuchen, abstempeln, abheften. Auch eine Steuer empfindet Sehnsucht nach dem Paradies.



   Hat Post-Chef Klaus Zumwinkel vor diesem Hintergrund nicht zutiefst moralisch gehandelt, als er seine Steuern ins
Paradies Liechtenstein (siehe Bild) transferierte, wo die Geldscheine, denen in Deutschland das Finanzamt drohte, zum ersten Mal in ihrem Leben das Tageslicht sehen durften? Herrlich frische Bergluft atmeten. Erstmal spüren, was Freiheit bedeutet. Muss man nicht das Risiko honnorieren, das Zumwinkel und 900 andere Fluchthelfer eingingen, als sie die in Deutschland gegen ihren Willen festgehaltenen Gelder über die Grenze ins Steuerparadies führten?

   Die Politik hätte den deutschen Steuern Zeit gewähren sollen, statt ihre sofortige Auslieferung zu fordern. Gewiss hätten sie, erst einmal erholt von den Strapazen der Gefangenschaft und der Flucht, aus dem Steuerparadies heraus Gutes bewirkt. Was wäre die Welt ohne Stiftungen? Klöster und Kirchen wären niemals in solcher Vielzahl und Pracht erstanden, ohne Stifter. Auch Zumwinkels Liechtensteiner Stiftung hätte sich nicht lange um Wohltaten bitten lassen. Etwa darum, dass deutsche Ganztagsschulen ihr Schulessen regelmässig mit einem
Paradiescreme-Dessert hätten versüssen können.
 

 

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