Wer gehofft hatte, die systematische
Austrocknung europäischer Oasen wäre nur eine Momentaufnahme
der Zeitgeschichte, sah sich diese Woche getäuscht. Starrsinnige
Steuerfahnder lassen nicht nach in ihrem Bemühen, fruchtbare
Zwergstaaten in Einöden zu verwandeln, wo nur niedere Lebensformen
mit einwandfreier Steuermoral überleben. Die Oase aber, einst
die Schweiz der Wüste, hat ihren Nimbus verloren.
Dabei
war sie in den letzten Jahren ohnehin heruntergekommen und hat
heute nur mehr den Ruf billigen Konsums: Es gibt Wellnessoasen
(Siehe Bild), Modeoasen, Tätowieroasen und Oasen für tolerante
Paare. Die letzten echte Oasen waren die Steueroasen. Dort liessen
sich sich die Abenteurer der Kapitalflucht ihre vom Angstschweiss
feuchte Stirn kühlen, während ihre Kamele unter der Last
des Vermögens taumelten.

Das
sagenumwobene Sultanat Liechtenstein, an und für sich eine trostlose
Wüstenei aus Fels, Steppe udn altem Adel, hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten durch systematische Kultivierung und Bewässerung
in eine einzige grossse Oase verwandelt. Sie ist umringt
von von feindseligen Schurkenstaaten, in denen man ertappten
Steuersündern die Hand abhackt, mit denen sie gerade noch ihr
Geld gezählt haben.
In Liechtenstein
dagegen sind die letzten Steuereintreiber bereits vor Jahrzehnten
gevierteilt worden, weisen freundliche Jungfrauen den Weg zu
blankgeputzten Bankschliessfächern. Über das Bankgeheimnis wachen
Angestellte, denen man bereits zu Beginn ihrer Ausbildung aus
Diskretionsgründen die Zunge herausgeschnitten hat. Und über
allem thront ein milder Sultan namens Adam, der so diskret
ist, dass er seine Steuererklärung sogar vor sich selbst verschweigt.
Die Reisenden bringen Gold und Gewürze, heiratsfähige Mädchen
und Wein, die sie in gewaltige Schliessfächer laden. Dann schauen
sie sich rasch um und veschlucken den Schlüssel.
Doch
jetzt ist der Rückweg versperrt. Der Wadi (heute: Vaduz) wird
mangels Ausweg zur letzten Zuflucht. Immer mehr Kapitalflüchtlinge
nehmen Abschied vom Getriebe der Globalisierung und wählen ein
Schliessfach als letzte Ruhestätte. Als Grabbeigaben
werden ihnen Gold und Juwelen, Mercedes-Limousinen und Schweizer
Wochenendhäuser beigelegt. Die Bankangestellten mauern die Tür
zu und lassen den Steuer- und Lebensmüden zu seiner letzten
Reise aufbrechen. Wenn dereinst das globale Kapitalsystem zusammengebrochen
sein wird und die Zwergoase Liechtenstein verdorrt, weil es
keine Mittelzuflüsse mehr gibt, wird man die Überreste von Managern
und Mittelständlern in den Grüften der Bankruinen finden, erstarrt
in einer letzten Umarmung ihres Vermögens. |