Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. März 2008)
 

   Eine grosse Discounterkette hat ihre Mitarbeiter heimlich mit Videokameras beobachtet, was für Empörung sorgte. Wieso eigentlich? In unserem Redaktionshaus sind schon seit Jahren in sämtlichen Räumen Kameras installiert, und nie hat sich jemand daran gestört. Ganz im Gegenteil. WIr sind selbst neugierig, was die Kollegen so machen. Hier die Aufzeichnungen vom vergangenem Dienstagvormittag.



11.00 Uhr: Im Untergeschoss des Redaktionshauses steht der Koch Heinz W. vor einer vier Quadratmeter grossen Pfanne. Nachdenklich kratzt der Kantinenchef sich mit dem Pfannenwender im Nacken und zwischen den Schulterblättern. Er steht vor der Frage, welchen Namen er dem Konvolut aus Hack, grob gewürfeltem Gemüse, Nudeln und Kartoffeln geben soll, das aus Überbleibseln der vergangenen Woche entstanden ist.

11.10 Uhr: In der Nachrichtenredaktion sitzt Chefreporter Udo L. regungslos an seinem Schreibtisch. Seine Augen sind geschlossen, an seinem rechten Mundwinkel beginnt sich ein Speichelfaden zu bilden. Wer Udo L. nicht kennt, könnte meinen, er schlafe. Doch hinter seiner Stirn tobt es. Der Gedanke "Man müsste wieder einmal etwas aufdecken" hat von ihm Besitz ergriffen.

11.20 Uhr: Die Raumpflegerin Svetlana R. hat soeben die flüchtige Reinigung des Toilettentraktes beendet und macht sich nun an die Kaffeeküche. Für einen Moment zögert sie, will den Eimer ausgiessen, um frisches Putzwasser einzulassen. Dann entscheidet sie sich anders.

11.30 Uhr: Heinz W. entdeckt in einem Unterschrank einige Dosen Hering in Tomatentunke. Er schaut auf das Verfallsdatum, erschrickt. Dann öffnet er rasch die Dosen und entleert sie in die Pfanne, deren Inhalt er als "Menü 1: Schlemmerteller Göttingen" servieren wird.

11:40 Uhr: Chefreporter Udo L. sitzt regungslos am Schreibtisch: "Eine ganz grosse Enthüllungsgeschichte, Dass im Radsport gedopt wird. Oder dass die Renten nicht sicher sind." Der Speichelfaden löst sich und tropft auf die Computertastatur.

11.50 Uhr: Die chronisch blasenschwache Svetlana R. unterbricht ihre Arbeit und geht in Richtung Toilette. Auf dem Gang wirft sie der Redaktionsassistentin Ursula L. einen kurzen Gruss zu: "Mahlzeit."

12.00 Uhr: Udo L. sitzt regungslos am Schreibtisch und denkt: "Oder etwas aus dem Privatleben des Bundespräsidenten." Er zieht einen neuerlichen Speichelfaden geräuschvoll zurück in den Mund und spürt: "Bald Zeit fürs Mittagsessen." Ohne die Augen zu öffnen, tippt er hastig die Horst-Köhler-Homestory in den Computer.

   Das
Beobachtungsprotokoll vermerkt: "Im Betriebsrestaurant wird in der gewohnten Qualität gearbeitet. Das Reinigungspersonal arbeit zwar resourcenschonend, nimmt sich aber Zeit für private Gespräche und Erledigungen. Der Einsatz von Udo L. am Arbeitzsplatz ist untadelig. Keine Telefonate, keine Privatgespräche, nicht einmal ein Gang zur Toilette."
 

 

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