Das Ereignis der Woche fand
im Hunsrück statt: Tausende Brötchen, die auf riesigen Backblechen
aus dem Schlund eines Ofens krochen und an einem drahtigen Mann
mit dunklem Schnurrbart vorbeiparadierten. Kleine Soldaten aus
Weissmehl, die auf ihre Weiterverarbeitung zu einem praktisch
nährmittelfreien Lebensmittel warteten, bevor sie zur letzten
Verdaungsschlacht in einem Hartz-IV-Haushalt marschierten. Bevor
wir aber ob der Leistungskraft unserer Nahrungsmittelindustrie
ins Schwärmen geraten, müssen wir erklären, wer der Mann
mit dem Schnurrbart ist: Kein anderer als der Enthüllungsreporter
Günter Wallraff nämlich (Siehe Bild).
Das
Wallraffen gilt ja als journalistische Grundtugend und
wird in jedem Seminar für Berufsanfänger gelehrt. Man sollte
es indes nicht zu weit treiben: Wallraff nämlich ist zeit seines
Lebens in so vielen Verkleidungen aufgetreten, dass er ohne
die Namensschilder auf seinen Pyjamas nicht einmal sich selbst
erkennen würde. Offenbar dachte er sich unlängst beim Frühstück:
"Ich muss mal wieder raus", klebte sich seinen alten
Schnurrbart aus den 60er ins Gesicht und heuerte in einem Betrieb
für Fertigbackwaren an, der den klassischen Prinzipien der Ausbeutung
aus dem Frühkapitalismus huldigt. Für den Einsatz verjüngte
er sich durch autogenes Training um 23 Jahre, lernte Migrationsdeutsch
und las sich durch die 13-bändige "Enzyklopädie des Weissbrots"
von Maurice Blanchee aus dem Jahr 1895.

Dabei
sind falsche Bärte ja in Zeiten virtueller Scheinexistenzen,
die sich jeder Internetbenutzer aufbauen kann, ein geradezu
rührendes Relikt aus früheren Tagen. Sie gehören eigentlich
in eine Zeit, in der man Kulenkampff im Fernseher guckte uund
mit dem Ford Taunus nach Italien fuhr. Doch was tut's? Die Hunsrück-Backfabrik
dürfte nur der Auftakt zu weiteren Skandalgeschichten sein.
Gerüchten zufolge will Wallraff sich als Tonträger in der Musikindustrie
verdingen, später als falscher Robert Mugabe den demokratischen
Umbruch in Simbabwe beschleunigen. Bis dahin heisst es: Augen
auf! Der Strassenmusiker, dem man kein Geld gibt, war er
nicht gestern noch rasiert? Und der Kollege, den man tot oder
imi Langzeiturlaub wähnte, warum taucht er plötzlich wieder
auf? Der bulgarische Schwarzarbeiter, der eben noch das Bad
flieste - sind seine Fingernägel nicht zu gepflegt? Der Konzernchef?
Der Bundespräsident? Verena Pooth? Derzeit ist jede Sekunde
zu rechnen, dass sich ein Prominenter unversehens bei Kerner
oder Will die Maske vom Gesicht reisst, seinen Bart in die Kamera
schleudert und sich als Wallraff identifiziert. Trauen Sie
deshalb niemandem, liebe Leser. Nicht einmal ihrer Zeitung.
Es könnte sein, dass viele Schlagzeilen nur aufgeklebt sind,
wie falsche Bärte. Allerdings: Die Brötchen, die Wallraff in
seiner Firma buk, waren echtt. Man erkennt das zweifelsfrei
am faden Geschmack. |