Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. Juli 2008)
 

   Wertewandel, kulturelle Vielfalt, transsexuelle Männer, die Babys zur Welt bringen - alles schön und gut. Doch ein paar klassische Primärtugenden sollten wir nicht vergessen. Tugenden, die unser Land gross gemacht haben.

   Nehmen wir die Ehrlichkeit. Vorbildlich das Verhalten jenes Rentners, der 2006 in einer Zugtoilette 391 000 Euros sowie 9000 Dollar herrenlos vorgefunden hat. Selbstverständlich hat er das Geld schnellstmöglich bei der Deutschen Bahn, in derem Fahrzeug er seinen Fund gemacht hat, abgegeben. Weil sich der rechtmässige (?) Besitzer bis heute nicht gemeldet hat, wird der Rentner nach Ablauf der amtlichen Frist für seine Ehrlichkeit belohnt: Die Bahn will ihm 6000 Euro Finderlohn geben. Den Rest behält sie selbst, und das ist moralisch korrekt: Selbst kleinste Finanzspritzen machen die Bahn attraktiver für die Börse und entlasten den Steuerzahler.

   Nehmen wir die Freundschaft, die edelste und selbstloseste aller Tugenden. Sie beweist sich so richtig erst im Leid. Wie bei jener Frau in Speyer, die nach 30 Stunden pausenlosen Zuhörens Polizei und Rettungsdienst um Hilfe rief, weil ihre beste Freundin trotz verzweifelter Aufforderung nicht aufhörte, über ihre verfahrene Situation zu sprechen. Auch machte sie keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen, obwohl sie von ihrer Zuhörerin inständig darum gebeten worden war. Der dauerquasselnden Freundin moralische Vorhaltungen wegen Ausnutzens der Freundschaft oder krankhafter Ichbezogenheit zu machen wäre indes verkehrt: Es bedarf höchster Disziplin, ein verpfuschtes Leben auf 30 Stunden zu komprimieren. Psychotherapeutische Praxen veranschlagen in solchen Fällen mindestens 100 bis 120 Stunden.



   Der sorgsame Umgang mit Eigentum mag als Sekundärtugend erscheinen, hat aber einst das deutsche Wirtschaftswunder erst möglich gemacht. Deshalb sind jene Diebe zu tadeln, die jüngst mit einem Tieflader auf ein Werksgelände nahe Straubing fuhren, blitzschnell 18 Tonnen Stahl aufluden und mir nichts, dir nichts davonbrausten. Weil sie die Ladung nicht ordnungsgemäss gesichert hatten (wie oft muss man eigentlich noch darauf hinweisen?) ruschte die wertvolle Fracht in der ersten Kurve vom Laster. Besser haben sich jene Räuber betragen, die nahe dem badischen Kehl frühmorgens mit einem Bagger den gläsernen Vorbau einer Bank abrissen, den Geldautomaten auf einen gestohlenen Lkw aufluden und türmten. Frühmorgens am nächsten Tag brachten sie den Geldautomaten und den Laster nach Gebrauch wieder zurück (siehe Bild). Vorbildlich.

   Warum in dieser Kolumne Diebstahl und Raub ungerügt bleiben? Weil man den Tätern nicht zum moralischen Vorwurf machen kann, dass ihr Einkommen nicht hoch genug ist, um auf anständige Weise Steuern zu hinterziehen. Ebenso wenig, dass sie nicht die finanziellen Mittel zum Kauf einer Firma haben, um diese dann bis aufs Blut auszuquetschen.
 

 

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