Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (31. August 2008)
 

   Der Strafbestand der Langeweile wird ja in den westlichen Gesellschaften hart geahndet, denn das Volk giert nach Unterhaltung. In den USA hat man das erkannt, wie der Parteitag der Demokraten zeigte. In Deutschland verachtet man derlei Oberflächigkeit. Politik spielt sich in Hinterzimmern oder Bierzelten ab. Berufspolitiker zeichnen sich durch eine gewisse Erdenschwere aus, die am späten Abend in einem von Bier und Detailmühsal genährten Dämmerzustand übergeht. Doch jetzt wird alles anders. Unserer Redaktion wurde unlängst ein geheimer Leitfaden zur Politik-Inszenierung zugespielt.

   Die Experten empfehlen, den sakralen Charakter der Politik erfahrbar zu machen. Für politische Grossereignisse gilt folgender Ablauf: Um 16:30 steht die Hauptperson vor dem Spiegel im Hotel und übt einige der Gesichtszüge, die sie nachher benutzen wird. 17:30 Uhr: Die Hauptperson kontrolliert Frisur / Krawatte (siehe Bild) und unterhält sich ein wenig mit ihrem Teleprompter.



   20:30: Die Hauptperson marschiert ein. Die durch die Halle dröhnende Musik hat ein Computer aus Verdi, Wagner und diversen Nationalhymnen zusammendigitalisiert. Es folgt ein breit angelegtes Händeschütteln (dafür sidn muskulöse Statisten mit Migrationshintergrund herbeigeschafft worden) und eine Rede, die von Computern entworfen und mit Schlüsselwörtern wie Familie, Anstand, Sparen, Arbeit, Zukunft durchwirkt ist. 21 Uhr: Kinder im Aggregatszustand grossäugig, sauber und bildungsnah tauchen auf, Schwarzweiss-Einspielungen aus dem Krieg schaffen Kontraste.

   21:30: Zugeschaltet werden fakultativ: Ehepartner, andere Kinder, der Papst, der liebe Gott oder Helmut Schmidt. Ihre Aufgabe: Das erste Tränenmeer auszulösen. Tränen sind die wichtigste Zutat im Menü der politischen Grossveranstaltung. Professionelle Tränendrüsendrücker mit einem Stundenlohn von mehreren Hundert Euro verfehlen nie ihre Wirkung, zusätzlich sollten an der Decke Tränensäcke mit 3000 Liter Fassungvermögen montiert sein, die auf Knopfdruck platzen. Teurer Spass, aber das Geld ist gut angelegt.

   Gegen 22 Uhr muss der Abend seinen Höhepunkt erreichen: Die ersten Besucher geraten jetzt in Ekstase, werden von der Hauptperson gesegnet, dann nach hinten gereicht. Jetzt muss geschwitzt werden, was Körperhaftigkeit und kaum gezähmte Sinnlichkeit andeutet. Am Ende gibt sich die Hauptperson, (bei Männern jetzt ohne Sakko, mit Schweissflecken von der Grösse eines Baggersees) der Menge hin und absolviert Umarmungen. Riesige Kuschelgeneratoren springen an, Wärme fliesst durch die Halle, die Zukunft wird eingeblendet und riecht nach Vanille, fremde Hände finden einander, die Liebe schwingt ihr mildes Zepter und ...

   ... jetzt müssen wir ausblenden, weil die Tränen kommen. Verdammt, Politik kann so schön sein!
 

 

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