Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. Oktober 2008)
 

   Um den Hintergründen der weltweiten Finanzkrise auf den Grund zu gehen, hatten wir uns dieser Tage mit Herrn S. verabredet. Er arbeitet seit rund 300 Jahren als Pförtner in einer Grossbank und hat die alten Zeiten noch miterlebt: "Die Bankiers (so nannte man sie damals) grüssten morgens freundlich und verbrachten den Tag damit, Geld zu zählen und nach Farbe zu sortieren. Das gute alte Bankgeschäft halt." Nach Feierabend erfrischte man sich bei einem Bad im Zentralgeldspeicher, der noch mit echten Golddukaten und nicht mit Immobilienzertifikaten gefüllt war.

   "Damals wusste jeder noch, wo sein Platt war", erinnert sich Herr S. Doch die Dienstwagen wurden teurer, die Häuser und Handtaschen auch - viele Bankiers waren gezwungen, sich neue Geschäftsfelder einfallen zu lassen. "Die Türme meiner Bank wurden immer höher und höher." Man fühle sich einfach näher bei Gott, sagte damals ein Banker im Aufzug. "Gott?", so ein anderer, "könnte man auf den nicht ein Zertifikat mit begrenzter Laufzeit ausgeben? Als Basiswert die geschätzten Tage bis zur Apokalypse?" Herr S. lächelt: "Die Apokalypse kam ja dann doch schneller als erwartet." Aber das ahnte zunächst niemand. Die Türme dampften vor Erregung, so dass man nicht mal im Winter heizen musste. Es war die Zeit der K-Produkte: Kupfer, Kobalt, Kanonen - mit allem wurde gehandelt. Wem nichts mehr einfiel, der verkaufte Knock-out-Zertifikate, deren Basis die Zahl der Dürreperioden in Afrika war, oder Basket-Turbos mit einem Durchschnittsindex der prognostizierten Autounfälle auf der A2 Bottrop-Hamm-Üntrop.

   Herr S. winkt müde ab: "Ich habe das irgendwie nicht mehr durchschaut. Früher betrat ich die Bank und ging zwischen Säulen aus Festgeld durch. Später musste ich mir den Weg durch Zusammenballungen von Puts und Calls bahnen, an jeder Ecke lümmelten Hedgefonds. Wie oft bin ich auf dem glitschigen Teppichen aus Gier und Angst ausgerutscht oder mit dem Kopf gegen eine wertlose ostdeutsche Gewerbeimmobilie gestossen."

   Die Banker wurden immer jünger, trugen Krawatten aus tibetanischer Gebetsseide und Schuhe aus dem Leder sanft zu Tode massierter Schweine. Sie besuchten Prostituierte aus biologischem Anbau und liessen ihre Hunde von nubischen Sklaven um die Gassen führen. "Alles musste sexy sein damals", seufzt Herr S. "Auf mich traf das nur bedingt zu. Ich habe mich deshalb als Heuschrecke verkleidet, um nicht gefeuert zu werden. Hat kein Schwein gemerkt. Beim Reingehen nickten die Manager mir sogar freundlich zu. Fast so, als wären wir alte Freunde."

   "Übrigens", Herr S. winkt verschwörerisch mit einem Stück eng bedruckten Papier, "unser Haus hat tatsächlich ein neues Anlageprodukt aufgelegt. Ein Discount-Zertifikat auf Basis der weltweit entlassenen Investmentbanker. Steigt deren eingespartes Jahreseinkommen über die Zahl von 45 Trillionen US-Dollar, wird es mit einem Bonus von 0,5 Prozent zurückgezahlt. Wie wär's? Hätten Sie nicht Lust? Die Zeichnungsfrist läuft."
 

 

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