Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (23. November 2008)
 

   Alles redet diese Woche von der Piraterie, einer alten und traditionsreichen Branche. Der Pirat, meist im Aggregatzustand als holzbeiniger, verschwitzter Schlagetot auftretend, war lange vergessen, ist aber in Zeiten der Finanzkrise mit seinem Geschäftsmodell wieder gefragt. Die Branche gilt als äusserst kapitalstark und wird deshalb nach Ansicht von Analysten in Kürze die Bürgschaft über die meisten europäischen Schlüsselindustrien übernehmen.

   Unserer Redaktion liegt das autobiografische Werk eines somalischen Seeräubers vor, das bereits jetzt als Klassiker der Wirtschaftsliteratur gilt ("Folge deiner Vision! 50 Wege vom Tagelöhner zur eigenen Piraterie", von Abdullah al Bashir, siehe Bild). Es ist auf dem deutschen Büchermarkt vergriffen, kann aber in der somalischen Nationalbibliothek gegen Vorlage einer Handfeuerwaffe ausgeliehen werden.


   Al-Bashir schildert zunächst die Anfänge seines Gewerbes: Mit Allahs Hilfe gelernt, wie man lebende Fische kapert und ausplündert. Ist eigentlich keine Arbeit. Sollte das auch bei Schiffen möglich sein? Nicht auszudenken! Monate später: Endlich! Heute einen zypriotischen Gemüsekahn geentert, nachdem wir ihn stundenlang mit Wassermelonen beworfen hatten. Reiche Beute! Avocados und Gewürze gegen ein chinesisches Schiessgewehr eingetauscht. Ein Jahr später: Erfolg ist planbar! Bin jetzt Mitglied in der somalischen Handelskammer, geniesse als Pirat höchstes Ansehen und habe einige Frauen für die Buchhaltung eingestellt. Am Marketing muss ich noch arbeiten. Lese gerade das Buch von Daniel Defoe: "Life, Adventures and Piracies of Caption Singleton". Tolle Story. Will auch ein grosses Schiff und Lederstiefel. Wieder ein Jahr später: Grosses Glück, Allah sei Dank. Heute ohne Kompass auf See herumgeirrt, dabei durch Zufall eine Segelyacht mit vier Tennisspielern, drei Modeschöpfern und einer Schauspielerin gerammt. Hunderte Kreditkarten erbeutet! Modeschöpfer meint, hohe Stiefel sind Chichi. Empfielt statt dessen H & M. Kann man die auch kapern? Zum ersten Mal in einem richtigen Bett geschlafen und Gin Tonic probiert. Dabei acht Mann verloren. Mit den Reiseschecks der Yachtbesitzer eine Panzerfaust mit russischer Gebrauchsanleitung gekauft.

   Eine Woche darauf: Russische Anleitung erklärt nicht, aus welchem Loch die Granate kommt. Schöne Segelyacht kaputt. Egal. Denke in grösseren Dimensionen, seit ich am Horizont immer öfter die Silhouetten riesiger Öltanker sehe. Wenn man nur in die Nähe käme! Dann, vor wenigen Wochen: Den "Roten Corsar" auf DVD gesehen. Finde mich besser aussehend als Burt Lancaster. Schliesslich der letzte Eintrag: Allah ist gross! Endlich den Riesentanker geentert. Griechischer Kapitän kam zu nahe an unsere Küste, weil er Schnaps kaufen wollte. Besatzung versuchte, uns mit Hochfrequenzgeschützen zu vertreiben. Lächerlich! Im Vergleich mit dem Muezzin klingt die Schallkanone wie Musik. Mit den griechischen und zypriotischen Matrosen Karten gespielt, dabei zehn Millionen Dollar verloren. Wenig später den Tanker verkauft und hundert Millionen Dollar in bar erhalten. Mein Lebenswerk ist vollendet. Jetzt sollen andere ran. Obwohl ... sehe häufig die schicken Fregatten aus Deutschland. Was mag da alles zu holen sein? Und als Bewaffnung nunr Megafone. Vieleicht noch ein letzter Coup mit Allahs Hilfe? Hier enden die Aufzeichnungen.
 

 

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