Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. Februar 2009)
 

   Dass Deutschland seit dem frühen Mittelalter in weiten Teilen unterkellert wurde, ist bekannt. Mittlerweise erstrecken sich die Katakomben gewerblicher und privater Immobilien über das ganze Land und haben sich von einem Profanort zu einer mystischen Stätte, zu einem dunklen Abgrund entwickelt. Einst nutzte man den Keller, um die in Einmachgläsern eingelagerten Familiengeheimnisse aufzubewahren, später sperrte man unbotmässige Kinder ins Finstere, jetzt sind es faule Wertpapiere, die dort eingelagert sind und langsam ans Tageslicht geraten. Ihr Gestank ist aber so schrecklich, dass selbst für die Suchhunde der Aufenthalt in den Kellerräumen grosser Banken nur sekundenweise möglich ist.

   Doch es sind nicht die Banken alleine, aus deren Kellern es schauerlich heraufmieft. Wer wie unsere Redaktion regelmässig bei Prominenten oder unbescholtenen Privatleuten im Keller herumschnüffelt, entdeckt oft Grauenhaftes.

   So fanden sich jüngst im Untergeschoss des Hamburger Reihenhauses von Helmut Schmidt die Überreste aller politischen Gegner, die der Ex-Kanzler im Laufe seiner Arbeit niedergeraucht hatte. Viele von ihnen wählten freiwillig die Katakombe als zum Aufenthaltsort, weil sie ihre intellektuelle Unterlegenheit der Öffentlichkeit nicht mehr zumuten wollten. Ganz in der Nähe, in der Hamburger Villa Dieter Bohlen, dünstet in einem schallisolierten Lochkeller das bisher unveröffenlichte Liedgut des Komponisten vor sich hin. Das hochkontaminierte Material sollte bereits vor Jahren in das Versuchszwischenlager Asse II verbbracht werden. Das scheiterte jedoch am erbitternten Protest der Anwohner.



   Harald Juhnke (siehe Bild), bis zu seinem Tod Vorreiter der Kellerei-Kultur, wurde Opfer einer der ersten Spekulationsblasen, als als die Preise für Leergut überraschend in den Keller gingen. Immerhin: Die sauber geleerten Flaschen im Bauch seines Berliners Anwesens werden nach und nach aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

   Eng wird es dagegen unter den Amtssitzen in Washington und Moskau, weil die dort angesammelten Kellerleichen das Volumen eines Stausees erreicht haben. Ihre Lagerung führt zu tektonischen Verschiebungen, die im Zusammenspiel mit den austretenden Faulgasen aus den Bankgrüften den globalen Klimawandel noch verschlimmern. Damit nicht genug: Es soll sogar Menschen geben, die im Keller alte Ausgaben dieser Zeitung horten, um sie irgendwann einmal gegen uns zu verwenden.

   Das ganze Ausmass der Verkellerung in Deutschland ist also nicht absehbar. Kaum denkt man, es wird ein wenig heller, die Börse gewinnt 0,2 Prozentz, das Dschungelcamp ist zu Ende oder der Kopfschmerz nach dem vierten Bier lässt nach, schwups verdunkelt sich alles, und man stellt fest, dass man allenfalls zwei Stufen auf der Kellertreppe zurücklegen konnte, und fühlt noch immer den gierigen, um den Hals geschlungenen Arm des Moders.

   Wir würden Ihnen gerne die Hand reichen, um näher zum Tageslicht zu kommen, liebe Leser. Doch es hift nichts: Erst müssen wir unseren eigenen Redaktionskeller aufräumen. Seit Wochen dampft von dort ein strenger Geruch heraus. Es wird doch nicht dieser Leserbriefschreiber sein, den wir damals zu einer Führung eingeladen hatten ...
 

 

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