Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (12. April 2009)
 

   Schräge Welt. Bis vor ein paar Tagen noch schlurften alle wackeren Schwabenseelen morgens grätig aus dem noch nicht ganz abbezahlten Häusle, weil unten, im Keller, die Heizung mit fauchender Entschlossenheit sauteueres Heizöl verbrannte, damit Frau und Kinder im Bad nicht auf den Fliesen festfrieren. Kalt war's im Ländle, ungemütlich, widerlich, und selbst die vertraglich gutgelaunten TV-Wettermelder konnten nicht mehr plausibel machen, warum nach einem Misttief mit Regen aus West sofort ein Misttief aus Nord mit Kaltluft und Schnee folgte, wo doch eigentlich schon Frühling war.

   Und nun - auf dem Feldberg, immerhin fast 1500 Meter hoch, schmilzt der Rekordschnee vom März im Rekordtempo, und in den Tälern ist binnen Tagen so was wie Hochsommer geworden. So geht es doch auch nicht. Erst saukalt, dann bullenheiss, dabei dachten wir immer, in Zeiten der grossen Koalition und windelweicher Kompromisse gäbe es gar keine Extreme mehr.

   Aber gut, warm ist besser als kalt und vor allem billiger, weil der Brenner im Keller seit vier Tagen die meiste Zeit ergeben schweigt. Dafür müssen wir jetzt leider wieder ertragen, dass mit der Sonne auch alle im langen Winter vergessenen Scheusslichkeiten des Alltags brutal in unsere geblendeten Augen stechen.

   Ganz vorne - auch im Jahr 2009 gibt es noch Menschen, vorwiegend Männer, die jetzt im Frühling ihre winterkäsigen Beine unrasiert aus peinlichen Dreiviertelshorts lugen lassen. Und wenn dann noch Strassenpfosten in Tennissocken mit rotem, mit blauem oder mit rot-blauem Bund enden (siehe Bild), ist das optische Desaster perfekt.



   Manchmal geht es auch schon oben los. Erste Beobachtungen in den Innenstädten zeigen, dass mit der Sonne auch wieder dunkle Brillen getragen werden, die 2009 bei Frauen so gross sein müssen, wie eine Tauchermaske und auch so ähnlich aussehen. Die Bügel sind dabei ungefähr so dick wie die Stäbchen, mit denen der Onkel Doktor die Zunge nach unten drückt, und kleine Kinder fangen an zu brüllen wenn so eine Tante in den Stubenwagen guckt.

   Männer sind trotzdem schlimmer, was die Renaissance des Polohemds beweist, das beim ersten warmen Sonnenstrahl aus dem Einbauschrank geholt wird oder  im Supermarkt für 4,99 zu haben ist. Normalerweise sind diese Hemden aber gut 15 Jahre alt, waren einmal dunkelblau und von der Krokodil-Firma. Das ginge ja noch, aber es scheint chic zu sein, dass man die Kragenshirts mit Krawatten kombiniert, bei denen ein wässriges Blassrosa hip ist. Unsere Redaktion "Optik und Chaos" hat bei Feldstudien einen Mann entdeckt, der ein blaues Polo mit rosa Krawatte zur weissen Hose trug. Die Füsse steckten sockenlos (zum Glück) in Schuhen, die so ähnlich heissen wie ein Wintergetränk aus Rum und Wasser und aussehen, als seien es die Pantoffel des Michelin-Männchens.

   Gesehen haben wir das Arrangement des Grauens in einem nagelneuen Biergarten, der letzten Scheusslichkeit, über die wir heute berichten wollen. Sie schiessen ja wie Pilze aus dem Boden. Wo gestern noch eine Industriebrache oder ein Hinterhof einsam vor sich rottete, sitzen jetzt Menschen zwischen dünnen Jungbäumchen auf unbequemen Holzbänken an wackligen Tischen, essen kätschige wilde Kartoffeln und trinken kohlensäurearmes Hefe hell, das man selbst holen muss. Ein Trost - in sechs Monaten ist Winter.
 

 

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