Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (28. Juni 2009)
 

   Es war wieder eine dieser bleiernen nichtssagenden Wochen. Die Tage klebten aneinander, starr und blitzäugig wie die Teilnehmer einer deutschen Islamkonferenz auf dem Abschlussfoto. Das Wetter? Ähnlich konsensartig, schwitzig. Und einen Tick zu schwül für diesen schlappgrauen Spätherbst - als befände man sich im hohlen Händedruck von Obama und Merkel. Aus schweren Wolken tropften abgebrochene Dialogfetzen, unverständliche Grafiken, sintflutartige Rettungsvorschläge. Draussen in den Überschwemmungsgebieten raste ab und an ein fabrikneuer menschenloser Schwimmanzug in Rekordgeschwindigkeit am beschlagenen Fenster vorbei, trieben ruhig die Zukunftsträume von Millionen dahin, ertranken mit leisem Gurgeln im Schritttempo die aufgeweichten Kreditwünsche eines schwäbischen Sportwagenbauers.

   Dann kippte die Stimmung in der Redaktion. Die Luftfeuchtigkeit stieg ins Unerträgliche. Ein Gefühl von Nutzlosigkeit perlte in unseren Schweinenacken. Auf den Telefonen bildeten sich Moosflechten. Einige leckten ihre Tastaturen ab, duellierten sich, lernten Deutschvokabeln oder fächerten sich mit Barbara Schönebergers intimen Hochzeitsplänen in der "Bild" Hoffnung zu. Andere suchten vergebens das Internet nach den von der debilen Regierung verordneten Stopp-Schildern ab, fanden aber nur Datenspuren einer spätpubertierenden blondierten Nachtmär, die als leyenhafte Statistikfälscherin und grundgesetzbrechenden Wahrheitsverdreherin beschimpft wurde.

   Alles vergeblich. Genauso wie jener, der unendlich oft das Wort Dysmorphophobie korrekt auszusprechen versuchte und darüber zum verrückten Selbsthasser wurde, der am Ende vehement die Ansicht vertrat, Til Schweiger sein ein erotischer Kartoffelkäfer aus Hollywood und daher mindestens eine Seite drei wert. Ein anderer vergrub sich in das 62. Kapitel von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften", kicherte hysterisch wie ein karrieristisches Elternpaar vor einer verwaisten Kita und verliebte sich in die Aussage, dass die Gegenwart nichts als eine Hypothese sei, über die man noch nicht hinausgekommen sei. Eine Gruppe von apokalyptischen Kollegen, Michael-Jackson-Fans und Hobbykabbalisten hatte sich schon vor Monaten selbst zur Adoption freigegeben, in der Erwartung, Madonna würde anrufen. Stattdessen flatterte ein Asylangebot samt Carepaket (Bananen, Macheten) eines Sklavenhändlers aus Malawi ins Haus, woraufhin sich die Verzweifelten wie so viele Journalisten in diesen Zeiten mit dem Schlauchboot auf einen ungewissen Weg nach Lampedusa machten.



   Und gerade als der Lokalpatriotische Rest der Truppe gemeinsam beschloss, tapfer dem Finale entgegenzusehen, gefasst und einig im Strudel der heillosen Ereignisse zu blicken und ehrenhaft diese kalte, nassforsche Welt zu verlassen, kam die unglaubliche, alles erhellende Meldung: Die 86 Milliarden Euro alte norddeutsche Steinbrück ("die alte Peer", siehe Bild) am Reichstagsufer wurde völlig überraschend in Sevilla zum Weltkulturerbe erklärt. Als harte Konkurrenten erwiesen sich noch der antiquierte, erbarmunsglose Präsidentenschädel von Mahmud Ahmadinedschad sowie die Rhetoriken des Mehrwertsteuerpoeten Günther Oettinger. Das positive Votum der Unesco-Vertreter aus Liechtenstein, Luxemburg, der Schweiz, Österreich und Malawi gab den Ausschlag für diese höchst erfreuliche Nachricht. Das Komitee würdigte die ehrwürdige, antiquierte Steinbrück "als eines der anfälligsten und gezeitenabhängigen Finanzbauwerke der Erde". Bürgermeister Wowereit resümierte: "Der grosse Imagegewinn könnte sich positiv auf den Tourismus, die SPD, meine Verdauung und weiss Gott noch was auswirken."

   Nassgeweint fielen wir uns in die Arme, schrieben wieder leidenschaftliche Texte, liebten uns hemmungslos zwischen surrenden Druckern, blickten einer rosa schimmernden Zukunft entgegen. Die alte Steinbrück, herrlich. Es war die Nachricht, die uns alle wieder trocknete. Wir können wieder weitermachen. Bis zur nächsten Regenwoche.
 

 

Zurück