Sind Sie auch immer wieder
völlig hingerissen von den Erkenntnissen der neuesten Hirnforschung?
Es vergeht kein Tag, an dem uns nicht aus einem Wissenmagazin
ein durchleuchtetes Hirn entgegenblinkt. Verwurstelte
Stirnlappen, endlose Nervenbahnen und heiter vibrierende Neuronenblitze,
wohin wir auch schielen.
Teletubbie-bunt
wie unaufgeräumte Kinderzimmer lädt uns die Neuropsychologie,
diese Schlüsselwissenschaft der Zukunft, immer wieder ein zu
einer Reise ins rätselhafte, hilfslose Ich: Denn was wir denken
und wie wir fühlen, ja, wen wir am heutigen Sonntag wählen werden,
liegt womöglich gar nicht in unserer Macht. Der Mensch denkt,
das Gehirn lenkt. Mit der Abbildung (siehe Bild) präsentieren
wir Ihnen zum Beweis das leise und farblich dezent vor sich
hinschnurrende Gehirn eiines durchaus erfolgreichen, wenn auch
tendenziell manisch-depressiven höheren Angestellten, Besitzer
eines Eigenheims (fast abgezahlt) und zweier Geheimratsecken
(sicher geerbt), wohnhaft im Speckgürtel einer südwestdeutschen
Grossstadt. Der Proband ist Ende vierzig, geht unregelmässig
ins Fitnessstudio, ist glücklich geschieden, Vater von ein (oder
zwei?) Kindern. Seine Freunde nennt er "Kumpels",
und er sagt von sich selbst, er sei "spontan". Er
hört gelegentlich im Nachausestau (150 PS, Partikelfilter, Wunderbaum
Grüner Apfel) ganz laut Phil Collins oder Jazz for Dinner, schätzt
gute regionale Küche, liest am Wochenende Krimis oder fährt
ein Rad mit Karbon-Rahmen. Er hat noch immer eine Karottenjeans
aus den 80ern im Schrank. Vor dem Schlafengehen träumt er
von einer "spontanen" Affäre mit der dunkelhaarigen
Assistentin aus der Nachbarabteilung.
 Die
Wissenschaftsgläubigen unter uns meinen nun an der Einfärbung
des Frontallappens sofort die Wahlabsichten und die Dioptrien
ablesen zu können. Doch, liebe Abonnenten von "Bild der
Wissenschaft", wir müssen Sie an dieser Stelle enttäuschen.
Dieses Bild stellt kein Wechselwählerhirn dar. Sondern den unheimlichen
Bakterienteppich in unserem Redaktionskühlschrank.
Ohnehin
kann man den Neuropsychologen nicht mehr trauen. Craig Bennett
von der University of California brüskierte die Fachwelt, indem
der dieser Tage Fotografien eines hoch aktiven Gehirns veröffentlichte.
Die kolorierten Gedankenblitze stammten aus dem Bauch eines
modernen Kernspintomographen, wobei der Proband dieses Mal ein
Lachs war, ein toter zudem. Bennett wollte damit klar machen,
dass bei den Neuropsychologen sogar ein toter Fisch denken kann.
Welch eine Blamage.
Doch in der für
ihren kühlen Sachverstand bekannten Redaktion unseres Hauses
ist diese Nachricht keine Neuigkeit. Schon seit geraumer
Zeit werden bei uns Redakteure wie tote Lachse behandelt.
Nur mit dem Unterschied, dass wir einen umgekehrten Beweis erbracht
haben. Nacheinander haben wir in den vergangenen Wahlkampfwochen
einen scheintoten Kollegen nach dem anderen in unseren tragbaren
Küchentomographen geschoben - aber nichts! Keine Farben! Von
Konturen oder Windungen keine Spur. Die Gehirne ähnelten vielmehr
den federweissen Schaumkronen auf den Wiesn-Krügen, hatten manchmal
etwas von der gespenstischen grauen Leere, die man aus der Schädelhöhle
von Jens Lehmann kennt. Auch die Frage, ob man sich an irgendeine
herausragende Leistung der Grossen Koalition erinnern kann,
provozierte ausser einem zufriedenen Grunzen keine Veränderung.
Steinmeier, Merkel - ein mnemotechnischer Totalaausfall.
Lediglilch
ein Hirn in der Midlife-Crisis produzierte spontan einige violette
Gedankenfunken, als die Signalwörter "brünett" und
"mandeläugig" fielen. Das Scannerbild ergab ein
seltsames Muster, dass sich bei genauerer Betrachtung als
aktueller Notfahrplan der Berliner S-Bahn entpuppte. Das Bild
liegt nun im Kühlschrank. Warum, haben wir vergessen. |