Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. Dezember 2009)
 

   Ein deutscher Wald im Morgengrauen. Frostig isst es in diesen Tagen (siehe Bild). Zwielichtig wabert träger Nebel zwischen diesen stummen alten Rinden wie der narkotisierende Sockendampf im Spind eines KSK-Sonderkommandos. Un über allen Wipfeln ist Unruh'. Von der Lichtung hört man eine blecherne Stimme, ein Zählen: "Eins - zwei - drei ..." Ist das wieder der sparsame Kollege aus dem Nachbarressort, der sich wie jedes Jahr seine Weihnachtstanne schlägt? Oder ist es der rülpsende Hänsel, der schon zu dieser frühen Stunde ein zweites Sixpack Waldbräu wegputzt, während die Gretel von einem brünftigen Gerd-Fröbe-ähnlichen Förster bedrängt wird? Aber nein. Wir erkennen auf der Lichtung - tapfer schreitend, das Kinn jeweils forsch emporgereckt, Rücken an Rücken mit entsichertem Metall - Generalinspekteur a. Dieu Schneiderhan und - den Baron der Herzen. "Vier, fünf ..."

   Ach, dieser Wald. Ein urdeutscher Ort der dunkelbraunen Ahnungen und unehrenhaften Erinnerungen. Rückzugshain für Romantiker und Duellanten. Eine ausserparlamentarische Position fern des Hindukusch. Das parallel Aufragende, die maskuline Vertikalität unser moosverliebten Nation. Es ist ja der hundertfach besungene Wald der Dichter und Henker, der innerlich höher stimmt. Hier herrscht noch Ordnung und Richtung. Als würde ein strammes Heer in Reih und Glied in ein chaotisches Gestrüpp marschieren. Ostwärts. Dorthin, wo die spärlichen Wälder so kriegsähnlich wuchern wie diese sinnlosen Protokolle im Angriffsministerium. Papier plappert, eine Eiche schweigt.


   "Sechs, sieben ..." Wenn nur nicht dieser Informationsnebel wäre. Er manipuliert alles, Lüge und Wahrheit, Krieg und Frieden, Soldat und Minister. Letzterer setzt nun sein bei fränkischen Landfrauen stets treffsicheres maliziöses Grinsen auf, fährt sich mit pedikürter Gutsherrenhand noch ein letztes Mal über seine glänzende Tarnkappe aus kandiertem Dachshaar, CSU-Gleitmittel und Tanklastöl der Bundeswehr-Hausmarke Kundus Addinol W18 (beste Korrosionsschutzeingenschaften, hitzebständig, linksresistent), und flüstert für sich: "Adel schafft Krisen, Krise schafft Adel. Schneiderhan, jetzt gilt's: Ehre, wem Ehre gebührt."

   Doch dann fällt ein Schuss. Zu früh, aus dem Hinterhalt, ohne Rücksicht auf bayrische Zivilisten. Der Baron wankt, wirft sich um, blinzelt durch die beschlagene Brille und entdeckt - nichts. Wo ist Schneiderhan? Überall nur Rauch und Nebel, nichts  als Nebel. Nicht einmal der Sekundantist mehr zu sehen, ein gut informierter Reporter der "Bild". Der BAron taumelt, brüllt in die feuchte Wand: "Dieser Schuftanschlag war militärisch nicht angemessen." Blaues Blut malt etwas in den Schnee. Ist das Afghanistan? Oder die Telefonnummer irgendeiner blonden Freifrau? Er weiss es nicht. In Sekunden flirren vor seinem inneren Auge Schemen aus der behüteten Kindheit vorüber. Wie schön das war. Die vielen Stunden vor dem Spiegel. Das Auswendigpauken seiner vielen Vornamen. Das mühevolle Büffeln für das kleine Gebirgsjäger-Latinum. Der erste Kuss von Onkel Seehofer. Das lustige Herr-und-Knecht-Spielen mit den schmuddeligen Opel-Jungs. Doch nun war er erwachsen geworden, war plötzlich allein. Er blutet, mein Gott. Ein Unteroffizier und Gentlemen, einsam im dunklen, deutschen Wald. "Acht, neun ..."
 

 

Zurück