Leser M.-S. aus Backnang
kritisiert diese Woche, ich hätte in einem meiner Kommentare
von wir gesprochen, obwohl ich doch nur ich sei. Herr M.-S.
hat völlig recht. Tatsächlich bin ich nur ich, zumindest in
meinen klaren Momenten. Dennoch schmeichelt es mich, dass mich
Herr M.-S. in seinem Brief mit Guido Westerwelle vergleicht,
der in seinem neuen Amt als Aussenminister auch nur noch in
Wir-Form spreche. Aber natürlich gebe ich das unverdiente Kompliment
zurück: Nach zehn Jahren Büro-Innendienst bin ich für bilaterale
Gespräche verloren. Am liebsten verhandle ich mit mir selbst.
Eine
dieser Konferenzen verlief kürzlich wie folgt: "Wie wäre
es, wenn du nach zehn Jahren endlich einmal deinen Schreibtisch
verlassen würdest?", fragte ich. ""Warum das
denn?", fragte ich zurück. "Du könntest zum Beispiel
für deine Leser in die Rabattschlacht ziehen, den Notleidenden
eine Stimme geben, Morde aufklären oder beim Speed-Dating deinen
Mann stehen", antwortete ich. "Und dann?", fragte
ich. "Und dann", sagte ich, "könntest du endlich
eine richtige Kolumne schreiben. Eine, für die selbst die Verzagten
kämpfen und nach der die Abstinenten wolllüstig werden. Eine,
bei der selbst der Fisch, der in sie gewickelt wird, zu neuem
Leben erwacht." "Die Auferstehung von Fischen lehne
ich prinzipiell ab", sagte ich und wechselte empört die
Anrede. "Sie glauben doch nicht, dass ich das mit meiner
Kolumne auch noch unterstütze?"
Zum
Glück geht die Zahl solcher Hespräche zurück. Es ist nicht schön,
wenn ich mich mit mir selbst streite. Ein glatzköpfiger Forscher
aus dem Fernsehen erklärte mir diese Woche, in der Krise nehme
die Konfliktfreudigkeit ohnehin ab, zurzeit neige der Mensch
zu harmonischen Übersprunghandlungen. Harmonie werde selbst
dort gesucht, wo sie sinn- und aussichtslos sei.
Wenn
Leser M.-S. aus B. kritisiert, dass ich zu Unrecht in der Wir-Form
spreche, bitte ich ihn auch vor diesem Hintergrund um Milde.
Dieses Wir war lediglich ein letztes, sinn- und aussichtloses
Aufbäumen, der Hilferuf eines harmoniesüchtigen Ichs auf seiner
dissonanten Reise durchs Leben, ein verzweifelter Appell an
die die gesamte Menschheit für mehr Frieden und Gemeinsamkeit.
Wer
könnte das besser verstehen als mein Freund Westerwelle? |