Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (10. Januar 2010)
 
Westerwelle und ich

   Leser M.-S. aus Backnang kritisiert diese Woche, ich hätte in einem meiner Kommentare von wir gesprochen, obwohl ich doch nur ich sei. Herr M.-S. hat völlig recht. Tatsächlich bin ich nur ich, zumindest in meinen klaren Momenten. Dennoch schmeichelt es mich, dass mich Herr M.-S. in seinem Brief mit Guido Westerwelle vergleicht, der in seinem neuen Amt als Aussenminister auch nur noch in Wir-Form spreche. Aber natürlich gebe ich das unverdiente Kompliment zurück: Nach zehn Jahren Büro-Innendienst bin ich für bilaterale Gespräche verloren. Am liebsten verhandle ich mit mir selbst.

   Eine dieser Konferenzen verlief kürzlich wie folgt: "Wie wäre es, wenn du nach zehn Jahren endlich einmal deinen Schreibtisch verlassen würdest?", fragte ich. ""Warum das denn?", fragte ich zurück. "Du könntest zum Beispiel für deine Leser in die Rabattschlacht ziehen, den Notleidenden eine Stimme geben, Morde aufklären oder beim Speed-Dating deinen Mann stehen", antwortete ich. "Und dann?", fragte ich. "Und dann", sagte ich, "könntest du endlich eine richtige Kolumne schreiben. Eine, für die selbst die Verzagten kämpfen und nach der die Abstinenten wolllüstig werden. Eine, bei der selbst der Fisch, der in sie gewickelt wird, zu neuem Leben erwacht." "Die Auferstehung von Fischen lehne ich prinzipiell ab", sagte ich und wechselte empört die Anrede. "Sie glauben doch nicht, dass ich das mit meiner Kolumne auch noch unterstütze?"

   Zum Glück geht die Zahl solcher Hespräche zurück. Es ist nicht schön, wenn ich mich mit mir selbst streite. Ein glatzköpfiger Forscher aus dem Fernsehen erklärte mir diese Woche, in der Krise nehme die Konfliktfreudigkeit ohnehin ab, zurzeit neige der Mensch zu harmonischen Übersprunghandlungen. Harmonie werde selbst dort gesucht, wo sie sinn- und aussichtslos sei.

   Wenn Leser M.-S. aus B. kritisiert, dass ich zu Unrecht in der Wir-Form spreche, bitte ich ihn auch vor diesem Hintergrund um Milde. Dieses Wir war lediglich ein letztes, sinn- und aussichtloses Aufbäumen, der Hilferuf eines harmoniesüchtigen Ichs auf seiner dissonanten Reise durchs Leben, ein verzweifelter Appell an die die gesamte Menschheit für mehr Frieden und Gemeinsamkeit.

   Wer könnte das besser verstehen als mein Freund Westerwelle?
 

 

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