Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (24. Januar 2010)
 

   Es waren erschreckende Szenen: Menschen drängten sich um die Stellen, an denen Lebensmittel und Getränke verteilt wurden. In ihren Augen standen Gier und Verzweiflung. Immer wieder wurden Alte und Kinder niedergetrampelt oder beiseitegestossen. All das ereignet sich alljährlich auf der Grünen Woche, zu der sich vor allem Westberliner - jahrelang genährt durch die Subventionen der alten Bundesrepublik - in zugigen Messehallen zusammenballen, jeden Knochen, an dem noch einige Fetzen von Fleisch kleben, an sich reissen und mit verrutschenden Brillen, befleckten Windjacken und schweissnassen Händen das Erbeutete verschlingen.

   Die Grüne Woche ist damit eines der erschütterndsten Beispiele für ungleiche Verteilung der weltweiten Nahrungsvorräte, zugleich aber ein hoffnungsvoll stimmendes Beispiel für die zusammenwachsende internationale Gemeinschaft. Auch unser Eine-Welt-Ressort unserer Redaktion machte sich vor Ort ein Bild von der Dramatik der Lage.

   Dabei gerieten wir auf einen Erlebnisbauernhof, der in grausamer Realitätstreue das Leben und Sterben auf der deutschen Scholle zeigt. Der erste Milchbauernkrieg, ausgehend von der Erstürmung der Lidl-Filiale in Essen-Kettwig, wird ebenso gezeigt wie die neuen artgerechten Hühner-Erlebnisställe mit Daumenkino, "Begegnung mit Tieren" lautet das Motto, wobei sich viele Nutztiere über das ruppige und uungepflegte Gebaren der Messebesucher beklagten. Zu essen: Schinkenwurst, Ferkel am Stück, weiches Hirn, lauwarm.



   Nur einen Steinwurf entfernt wurde ein Schaukochen entfesselt, bei dem sich vier Fernsehköche eine ausgelassene Käserei lieferten. Bombenstimmung" Zu essen: Schlachtpfisterei, kontrollierter Brottrunk, mehrere De-Meter kolumbianische Schwitzgurken und ähnliches Zeugs. Schliesslich die legendäre Sonderschau der Berliner Kleingärtner. Für viele der eigentliche Höhepunkt der Grünen Woche.

   Die Berliner Kleingärtner gelten als Pioniere bei der Verminung grossstädtischer Gartenanlagen und zeigten den staunenden Besuchern eine breite Palette von Methoden, Hundesekrete bis zu den Besitzern zurückzuverfolgen und deren Gartenimmobilien niederzubrennen. Eine Sandalenmodenschau schloss sich an. Zu essen: Kerzengerade gezogene Tomaten, Formationskohlrabi und selbstrülpsende Dosenwurst. Hier geriet auch unser Team an die Grenzen der peristaltischen Leistungskraft. Mehrere Redakteure mussten abgezogen werden und zur Erholung nach Eiweissrussland geschickt werden.

   Es führte jetzt zu weit, noch über die Neuerungen auf dem Gebiet der Agrobiodiversität zu berichten, also der Herstellung von Crème brulée aus Schlachtabfällen. Zumal in einem "begehbaren Stall" weitere Redaktionsmitglieder verloren gingen. Einige konnten mit Hilfe eines Rettungseuter befreit werden und berichteten später von faszinierenden Eindrücken.
   Danach erreichten uns nur noch versprengte Meldungen aus dem Inneren der Grünen Woche, die derart kalorienstark waren, dass unsere Redaktionscomputern sie nicht mehr zu Wortbrei verarbeiten konnten.
 

 

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