Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. Februar 2010)
 

   Diese Woche in Brüssel: Ein hagerer, gut gekleideter Mann betritt sein neues Büro. Endlich allein. Die funktionale Schönheit dieser Arbeitslandschaft überwältigt ihn. Die Stereoanlage, aus deren Lautsprechern eine gut aufgelegte Frau "Learning english is easy" singt. Der sublime Eros der drei Vorzimmerdamen in ihren Satinblusen. DIese gepolsterten Türen, die jede Form von Gewöhnlichkeit den Eintritt verwehren. Der Teppich, der die Lederslipper bis zum Knöchel schluckt. Der Mann schmiegt seine Wange kurz an die Schreibunterlage aus mundgewalktem philippinischem Mossgummi. Dann wiegt er den Montblanc-Füller (siehe Bild) in der Hand, der vom Büroservice täglich befüllt wird, und streichelt zärtlich über jenes Dokument, in dessen ersten Absatz die Ziffer 19 253 Euro steht. Darunter das Wort monatlich.

   Jetzt aber an die Arbeit. Er wirft einen Blick in die Unterlagen. Ein bulgarischer Parlamentarier (750 Euro monatlich) bittet darum, als Aktenfresser etwas dazuverdienen zu können. Na, warum nicht, murmelt der Mann und segnet den Vorgang mit einem Montblanc-Federstrich ab. Dann die neuen Regulierungsaufträge. Die Vereinheitlichung der Wasserdüsen in europäischen Duschköpfen, die maximalste Krümmung von Gartenschläuchen in der Eurozone, die Saugfähigkeit von Slipeinlagen bei minus 20 Grad. Alles really big Ischjus, denkt der Mann und schweigt bedeutungsvoll. Nichts überstürzen. Arbeitsessen. Abstimmungen. Gespräche.



   Eine Minute zuvor hatte sich die Bürotür geräuschlos hinter einer jungen Frau geschlossen. Nettes Ding, diese Logopädin, denkt der Mann. Und wie sie es geschafft hat, meine Zunge im Zaum zu halten. Absolut professionell. Sicher, der Anfang war schwer. Beim Versuch, den Namen der irischen Kommisarin für Forschung, Máire Geoghegan-Quinn, auszusprechen, verdunkelte sich der Himmel über Brüssel, und ein leichtes Erdbeben zuckte durch die Gänge des Berlaymont-Gebäudes. Aber jetzt hilft die Englisch-CD, die im Begrüssungpaket neben den beiden Flaschen Barroso und der Drahtbürste mit Perlmuttgriff (für widerspenstiges Haar) lag. Er spricht konzentriert nach: "What's this? What's this? A dog, a dog. What's this? What's this? A cat, a cat." Gar nicht so schwer. A dog, a cat. Hund, Katze. Aber was heisst Ergänzungsrichtlinie oder Verpackungsverordnung oder "schicken Sie die Restaurantrechnung an mein Büro"? Dranbleiben.

   Er streckt seine Nase hinaus in den Flur. Totenstille. Und so kühl. Haben die Ukrainer das Gas abgedreht? Da muss ich mich drum kümmern. Arbeitsessen. Gespräche. Beschwichtigungen, Kompromisse. Schnell ein Aktenvermerk: Working Food to serveral Ischjus of Enertschy with Ukrainian Delegation. Wie aus dem Nichts schwebt eine Hostess an seine Seite: "Mr. Oettinger, the press meeting. Wir müssen." - "Ah, yes, I become schnell", antwortet er. Rasch den Krawattenknoten mit einem Tropfen Epoxydharz fixiert. Dann tritt der hagere Mann hinaus in das Licht der Scheinwerfer und sagt mit fester Stimme: "Let me take place to the following ischjus ..." Sein Montblanc-Füller funkelt wie ein Michelin-Stern.
 

 

Zurück