Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. März 2010)
 

   Ich weiss nicht, was andere so tagsüber machen. Ich bin bei Facebook. Früher, eigentlich bis vor wenigen Tagen, war ich noch als Journalist tätig. Aber das geht jetzt beim besten Willen nicht mehr. Es ist zeitlich nicht mehr zu schaffen. Ich habe zu viele Freunde. Und Freundschaftsanfragen. Und Freunde, die mir Freundschaftsanfragen vorschlagen.

   Dabei weiss ich gar nicht so genau, was Facebook ist. Allein schon die Übersetzung des Wortes macht mir zu schaffen: Gesichtsbuch? Gesichterbuch? Oder kann man da Gesichter buchen wie das von Jürgen Rüttgers? Auch mit mit dem Begriff Soziales Netzwerk kann ich nicht viel anfangen. Muss man da spenden? Oder spinnen die bloss rum? Jedenfalls begegnet man diesem Facebook, wenn man im Internet einen Namen googelt. Man will Näheres über eine Person erfahren, und diese Person ist zufällig bei Facebook angemeldet. Schon haben sie einen.

   Ich habe mich damals auch angemeldet. Aber nur, weil ich dachte, dass ich dann besser über einzelne Personen recherchieren kann. Ehrlich, Chef! Ich weiss, dass ich an meinem Arbeitsplatz nicht privat surfen soll. Es war im Rahmen meiner Arbeit, wie immer, wenn ich arbeite, habe ich mir nichts dabei gedacht. Mitglied bei Facebook: Was heisst das schon? Ich habe nichts über mich verraten und auch kein Foto von mir eingestellt. Mein Profil, um mal im Fachjargon zu reden, war weiss wie die Wand. Ich war eine Karteileiche, ein offenes Gesichtsbuch mit leeren Seiten.

   Meine Anmeldung ist lange her. Ich hatte Facebook schon vergessen. Dann kam eine Mail. Das Facebook sagte, Peter wolle mein Freund werden, und ob ich das zulassen wolle. Na ja. Peter hat mir meine erste Freundin ausgespannt. Und zwar in echt, nicht virtuell. Andererseits ist er ein alter Kumpel. Man sieht sich gelegentlich. Da wäre es unhöflich, Nein zu sagen. Also wurde Peter mein Freund.. Wenig später meldete sich Roman, ein Freund von Peter. Den kenne ich auch schon ewig. Wenn ich bei Peter Ja sage, kann ich bei Roman nicht Nein sagen. Also noch mal auf Bestätigen geklickt.

   Zwei Freunde bei Facebook - das hätte mir fürs Leben gereicht. Abder die beiden haben ganz viele andere Facebook-Freunde, von denen ich einige auch kenne oder kennen müsste. Das hatte ich nicht bedacht. Ich bekam immer mehr Mails. Manche Namen sagten mir was, manche nicht. Ich schaute mir die Profile an. Susanne? Noch nie gesehen. Sandra? Welche Sandra? Und warum will Christiane meine Freundin werden? Okay, sie ist Single und gerade dabei, ihren "eigenen Weg zu finden". Aber ich kann dir dabei nicht helfen, Christiane. Wahrscheinlich sasst du in der Schule neben mir. Aber ich bin jetzt verheiratet, habe zwei Kinder und einen anstrengenden Job. Verdammt, wem erzähle ich das hier eigentlich?

   Heute wieder vier Freundschaftsanfragen bekommen. Eine ist von Wolfgang. Netter Kerl, aber ich glaube, er hat Kontakte zur russischen Mafia. Ich will nicht ein Freund der russischen Mafia werden. Bin verzweifelt. Und überlastet. Was tun? Lese gerade: Peter ist bei Facebook der Gruppe "Kein Alkohol ist auch keine Lösung" beigetreten. Bin dabei, meine Freunde!
 

 

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