Ich weiss nicht, was andere
so tagsüber machen. Ich bin bei Facebook. Früher, eigentlich
bis vor wenigen Tagen, war ich noch als Journalist tätig. Aber
das geht jetzt beim besten Willen nicht mehr. Es ist zeitlich
nicht mehr zu schaffen. Ich habe zu viele Freunde. Und Freundschaftsanfragen.
Und Freunde, die mir Freundschaftsanfragen vorschlagen.
Dabei
weiss ich gar nicht so genau, was Facebook ist. Allein schon
die Übersetzung des Wortes macht mir zu schaffen: Gesichtsbuch?
Gesichterbuch? Oder kann man da Gesichter buchen wie
das von Jürgen Rüttgers? Auch mit mit dem Begriff Soziales Netzwerk
kann ich nicht viel anfangen. Muss man da spenden? Oder spinnen
die bloss rum? Jedenfalls begegnet man diesem Facebook, wenn
man im Internet einen Namen googelt. Man will Näheres über eine
Person erfahren, und diese Person ist zufällig bei Facebook
angemeldet. Schon haben sie einen.
Ich
habe mich damals auch angemeldet. Aber nur, weil ich dachte,
dass ich dann besser über einzelne Personen recherchieren kann.
Ehrlich, Chef! Ich weiss, dass ich an meinem Arbeitsplatz
nicht privat surfen soll. Es war im Rahmen meiner Arbeit, wie
immer, wenn ich arbeite, habe ich mir nichts dabei gedacht.
Mitglied bei Facebook: Was heisst das schon? Ich habe nichts
über mich verraten und auch kein Foto von mir eingestellt. Mein
Profil, um mal im Fachjargon zu reden, war weiss wie die Wand.
Ich war eine Karteileiche, ein offenes Gesichtsbuch mit leeren
Seiten.
Meine Anmeldung ist lange her.
Ich hatte Facebook schon vergessen. Dann kam eine Mail. Das
Facebook sagte, Peter wolle mein Freund werden, und ob
ich das zulassen wolle. Na ja. Peter hat mir meine erste Freundin
ausgespannt. Und zwar in echt, nicht virtuell. Andererseits
ist er ein alter Kumpel. Man sieht sich gelegentlich. Da wäre
es unhöflich, Nein zu sagen. Also wurde Peter mein Freund..
Wenig später meldete sich Roman, ein Freund von Peter. Den kenne
ich auch schon ewig. Wenn ich bei Peter Ja sage, kann ich bei
Roman nicht Nein sagen. Also noch mal auf Bestätigen geklickt.
Zwei
Freunde bei Facebook - das hätte mir fürs Leben gereicht. Abder
die beiden haben ganz viele andere Facebook-Freunde, von denen
ich einige auch kenne oder kennen müsste. Das hatte ich nicht
bedacht. Ich bekam immer mehr Mails. Manche Namen sagten mir
was, manche nicht. Ich schaute mir die Profile an. Susanne?
Noch nie gesehen. Sandra? Welche Sandra? Und warum will Christiane
meine Freundin werden? Okay, sie ist Single und gerade dabei,
ihren "eigenen Weg zu finden". Aber ich kann dir dabei
nicht helfen, Christiane. Wahrscheinlich sasst du in der Schule
neben mir. Aber ich bin jetzt verheiratet, habe zwei Kinder
und einen anstrengenden Job. Verdammt, wem erzähle ich
das hier eigentlich?
Heute wieder vier
Freundschaftsanfragen bekommen. Eine ist von Wolfgang.
Netter Kerl, aber ich glaube, er hat Kontakte zur russischen
Mafia. Ich will nicht ein Freund der russischen Mafia werden.
Bin verzweifelt. Und überlastet. Was tun? Lese gerade: Peter
ist bei Facebook der Gruppe "Kein Alkohol ist auch keine
Lösung" beigetreten. Bin dabei, meine Freunde! |