Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. März 2010)
 

   Am liebsten würde unsere Redaktion mit dem ganzen feuilletonistischen Geschwurbel ein für alle Mal Schluss machen und diesen Buchstabenfriedhof leserfreundlicheren Themen widmen: Lieblichen Krokussen, katholischen Päderasten oder einer Rezension von Lady Gagas Dekolleté. Doch die allseits mit Hochspannung erwartete Leipziger Buchmesse dürfen nicht einmal wir Banausen ignorieren. Schon weil der diesjährige Preisträger nun nicht Helene Hegemann heisst, sondern ... irgendwie anders. Gott sei Dank! Der Name tut ohnehin wenig zur Sache. Eines ist dabei fast sicher: Der hochtalentierte Künstler ist volljährig, nicht drogenabhängig und hat sein Buch eigenhändig abgetippt. Chapeau!

   Doch bei aller Euphorie wollen wir auch einige Texte erwähnen, die von der Kritik übergangen wurden. Da wäre das nicht abgestempelte S-Bahn-Ticket "Payback" (Untertitel: "Die Zwei-Zonen-Gesellschaft im Frankfurter Westend") von Frank Schirrmacher in der Kategorie Fahrtenbuch. Ein echter Pageturner in der Seniorenresidenzen der gehobenen Preisklasse. Oder der Roman von Karl-Theodor zu Guttenberg (siehe Bild), dem parfümiert formulierenden Politpop-Literaten, der seinerzeit mit "Noblesse Royal" einen unerwarteten Durchmarsch feierte. Für sein aktuelles Werk mit dem Monstertitel "Gutis Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Kabul" begab sich der Autor auf eine märchenhafte Identitätssuche in einer ferne Zeit. Ein Lügenbaron besitzt ein Königsreich mit geschmeidiger Eleganz, bis er in einem Sumpf voller Haargel stecken bleibt. Als er versucht, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel herauszuziehen, wacht er auf und findet sich als entblösstes Pin-up-Girl im Spind einer bayerischen Bundeswehrkaserne wieder. Dieses zugegebenermassen bemühte Ende entzweite die Jury.



   Während dem Schreiben zu Guttenbergs eine verzwirbelte Erzählstruktur zugrunde liegt - ein Kritiker will darin die Häkelanleitung für eine Barbour-Steppjacke entdeckt haben -, brillierte der Debütant mit klarer Sprache: Wolfgang Schneiderhan. Eine Spätentdeckung! Der Ex-General lernte erst spät mit Mitte vierzig in einem Ardenner Schützengraben weinen und buchstabieren. Seine autobiografische Kurzgeschichte "Die Leiden des alten W." lobte eine linksliberale Gazette als "eiskalten Report". Anderenorts hiess es, Schneiderhans Prosa räume wie eine rachsüchtige Feldhaubitze ministerielle Papiertiger aus dem Weg, hinterlasse Angst und Schrecken wie einst das erotische Kriegstagebuch von Paul von Hindenburg.

   Nicht annähernd so viel Lob erntete Phillip Rössler für sein Science-Fiction-Drama "Dr. Hope". ein unverständlicher Schmöker, gewiss. Schwer auszurechnen, geheimnisvoll konstruiert wie das Bankkonto eines deutschen Pharma-Lobbyisten. Worum geht es in diesem kruden Zukunftsstück? Wir schreiben das Jahr 2015. Deutschland ist entvölkert, lediglich zwei mechanisch nickende Kopfpauschalen haben überlebt und führen vor der Berliner FDP-Zentrale einen kakofonischen Dialog über die abführende Wirkung von schlechter Literatur. Plötzlich rollt eine arbeitslose Kopfschmerztablette vorbei und murmelt: "Abzocker!" Nun ja.
 

 

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