Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. April 2010)
 

   Wer in dieser Woche die knospende Schaumkrone eines Weizenbiers beim Aufblühen beobachtete oder seine Blicke auf die schimmernde Krampfäderchen eines entblössten Frauenbeins warf, wurde unversehens des Frühlings gewahr. Der Frühling gilt unter Experten als die Romy Schneider unter den Jahreszeiten: Verheissungsvoll und doch von zerbrechlicher Schönheit. Auch diese Woche sandte er seine zaghaften wärmenden Strahlen zu denjenigen, die des Trostes bedürfen. Jörg Kachelmann, den unsere Wissenschaftsredaktion in seinem neuen Domizil zu einer Wetter-Exegese während der üblichen Besuchszeit traf. Den scharfen Hygienevorschriften der Haft unterworfen, zeigte er sich mit duftendem Haar und einer Gesichtshaut, die an frisch gepflückte Anemonen erinnerte. "Ja, der Frühling", schmunzelte er auf Nachfrage. "Da könnte ich euch Geschichten erzählen. Damals, an dieser Hotelbar in Frankfurt, als mich diese Frau ansprach und wir dann auf ihr Zimmer ..." An dieser Stelle müssen wir aus presserechtlichen Gründen leider abbrechen. "Schaut doch mal wieder rein", rief er uns noch zum Abschied nach und blätterte wieder in seinem grossen Hardenberg-Lexikon der Damenunterwäsche.

   In Deutschland noch zögerlich, setzte der Frühling in Griechenland mit aller Macht ein. Einheimische wie Kostas, alte Subvensionssammler mit seinem Handkarren, kennen das Phänomem: "Im April, wenn die Brüsseler Beamten ihre Geldspeicher lüften, läuft das Geschäft am besten." Gemäss dem alten epikureischen Theorem "Am Abend wird der Faule fleissig" bringt Kostas die ergatterten Schätze schnell in die Geldwaschsalons (die legendären Saloniki) seiner Heimatstadt. Dort werden aus den in Blätterteig eingewickelten Barschecks schmackhafte Aufläufe gebacken (Souvlaki mysterossis). Kostas' vom Geldzählen gegerbte Hände zeugen von der Kraft der Natur. "Wir Griechen leben mit den Jahreszeiten. Im Frühjahr sameln wir herumliegende Kredite ein, den Sommer über werden sie an alle Verwandten verteilt, im Herbst sitzen wir im Kafenion, und im Winter gehen wir wir in Rente" beschreibt er den uralten Lebensrhythmus der einfachen Hellenen. "Aber April und Mai bleiben doch die schönste Zeit. Da lungern wir oft an irgendeinem Hafen herum, kommen auf allerlei merkwürdige Gedanken, die uns eindösen und am Abend wieder aufwachen lassen, wenn die Sonne herüberblinzelt und morgen auch noch ein Tag ist."



   Leben im Einklang mit der Natur - für Mitteleuropäer kaum noch vorstellbar. Die Experten unserer Wissenschaftsredaktion plädieren deshalb dafür, den Frühling nicht dösend, sondern turtelnd und schnäbelnd zu verbringen, denn die Zeit des botanischen Erwachens ist die Zeit der Liebe. Die Liebe! Unzählige Dichter, deren Namen uns gerade nicht einfallen, haben den Frühling Wortkaskaden gewidmet, in denen es flirrt und gurrt, von lodernden Brüsten, Knospen, Trieben, Küssen und Schalmeien wimmelt. Und auch die Zeilen dieser Kolumne verschwimmen plötzlich im warmen Licht, ranken sich um die kletternden Gewächse schwüler Fantasien, greifen mit zärtlicher Hand nach den Sinnen. O Gott, wir müssen raus!
 

 

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