Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. Juni 2010)
 

Die Hauptstadt der Gefühle


   Mal ehrlich: Sie haben doch auch gedacht, Berlin sei Deutschlands Hauptstadt, oder? Sorry, dann haben Sie falsch gedacht. Berlin ist wie Horst Köhler. Vom märkischen Sand verschluckt. Futsch. Die Stadt existiert einfach nicht mehr. Hat womöglich nie existiert. Die Hauptstadt Berlin war nur eine politische Wahnvorstellung. Ergebnis der kollektiven Mauerfallpsychose. Und basta.

   Deutschlands wahre Hauptstadt ist - Hannover. Sie wissen schon, Kennzeichen H, Postleitzahlen 30159 bis 30669, Vorwahl 0511. Fällt es Ihnen jetzt auch wie Schuppen von den Augen? Sehen Sie Lena vor sich? Und Christian Wulff? Na endlich. Hannover, die neue Hauptstadt der Gefühle. Aber wie fing das alles an? Wann und weshalb wurde diese Stadt, die viele nur von den Ausfahrtschildern an A2 und A7 kennen, so wichtig für den emotionalen Haushalt des Landes, dass es schon unheimlich ist?

   Vielleicht mit Robert Enke. Der Fussballtorwart von Hannover 09 würde heute zur WM nach Südafrika fliegen, wenn er sich nicht vor den Zug geworfen hätte. Enke war schwer depressiv, was kaum jemand ahnte, und ein feiner Kerl, nicht nur auf dem Rasen. Sein Selbstmord wurde zum gesamtdeutschen Trauerspiel. Ein Drama, das auch auf seinen Schauplatz Hannover abfärbte. Es gab der Stadt in der norddeutschen Tiefebene noch mehr Tiefe. Igendwie.

   Dann die Sache mit Margot Käßmann. Nächtliche Alkoholfahrt im Dienstwagen und so weiter. Käßmann trat als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und als Landesbischöfin von Hannover zurück. Das war ebenfalls tragisch, zeigte aber zugleich Grösse. Niemand hatt sie gedrängt, Käßmann ging aus Eigenverantwortung. Ganz Deutschland zollte ihr Respekt. Der Eichstrich für Amtsträger, die gefehlt haben, liegt jetzt höher.



   Aber diese Stadt kann auch anders. Da sind nicht nur Schwermut, Tragik und Leid. Da ist auch die unverschämte Leichtigkeit einer 19-Jährigen, in die sich, ohne jede deutsche militärische Nachhilfe, ganz Europa verliebt hat. Vor ein paar Wochen erst baute Lena an der Integrierten Gesamtschule Roderbruch Hannover ihr Abitur. Ein hübsches Mädchen aus einer deutschen Grossstadt, so wie viele. Jetzt ist sie das singende Fräuleinwunder, und, verdammte Axt, man fragt sich, was das für ein Boden ist, auf dem dieses süsse Pflänzchen so prächtig gedeihen konnte.

   Schliesslich Christian Wullf. Okay, der ist nicht so niedlich wie das kleine Schwarze. Lebt und arbeitet aber auch in Hannover. Wulff liegt gefühlsmässig irgendwo zwischen Enke und Lena. Ausserdem spricht er Hochdeutsch, man versteht ihn überall im Land. Weil er auch sonst ziemlich mittelmässig ist, darf er Bundespräsident werden. Anstelle von Ursula von der Leyen, ebenfalls Hannover, die einigen katholischen Herren in der Union ein bisschen zuviel Lena war oder Käßmann oder überhaupt.

   Kommen wir zum Schluss. Hannover ist die Stadt der Stunde. Noch Fragen? Lassen Sie sich bloss nicht irritieren von der Tatsache, dass der Autor verheiratet ist mit einer Frau aus - sie wissen schon. Hannover, das ist eben reine Gefühlssache.
 

 

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