Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Bundespräsidentenwahl (04. Juli 2010)
 

Wie Gauck fast gewählt worden wäre

   Neun Stunden sind eine lange Zeit. Wahlen können ermüden. Neulich in der Bundesversammlung. Der dritte Wahlgang läuft. Aufgerufen werden die Wahlmänner  und -frauen mit den Buchstaben N. Neumann, Niebel, Nüßlein ... Angela Merkel war schon dran. Jetzt sitzt sie in einem Rückzugsraum im Bundestag. Es ist schummrig, monoton murmelt es aus dem Fernseher, Ott, Otte, Otto ... Die Augenlider werden schwer. Die Kanzlerin schläft ein. Aber wer kann in einer solchen Lage ruhig schlafen? Schemen steigen auf, Stimmen melden sich, Bilder scheinen greifbar nah. Das Protokoll eines Albtraumes:

   "Frau Merkel!" Eva Christiansen, die Kanzlervertraute, stubst die Schlafende vorsichtig an. "Watt denn?!" - "Keine gute Nachrichten, Frau Merkel ..." Merkel kommt zu sich. "Wieso? Ach, Gott, ist Westerwelles FDP wieder über fünf Prozent geklettert?" - "Nein, nein, es geht um Gauck. Er ist gewählt worden - er ist neuer Bundespräsident."

   Merkel ist noch schlaftrunken. "Hm, gut, ist doch ein netter Kerl, hab ich eigentlich immer gemocht. Der ist jetzt Präsident? Klasse!" - "Aber Frau Merkel!" Christiansen rüttelt ihre Chefin am Arm. "Erinnern Sie sich, unser Kandidat ist doch Christian Wulff. Der ist durchgefallen, eine politische Katastrophe" Für ihn und für Sie."

   Da geht die Tür auf, und Roland Koch poltert herein. "Bestrafen! Brutalstmöglich bestrafen! Da gibt es keine Gnade." - "Ja", sagt Merkel, "daran habe ich auch schon gedacht. Man sollte Westerwelle ein paar Auslandsflüge ..." - "Wieso Westerwelle?", fragt Koch. "Die Abweichler sind welche von uns."

   CSU-Chef Horst Seehofer platzt herein. "Angela, wirklich, das tuat ma leid:" - "Horst, warum lächelst du so?", fragt die Kanzlerin. "Ich. äh, nein, nein, i bin ganz am Boden zerstört. Des is jetzt sicher sehr schlimm für dich." - ""Doch!" - "Angela?" - "Doch, du lächelst" - "Ich darf dir versichern, dass die CSU geschlossen, hihi, hinter dir steht."

   Eva Christiansen schaltet sich ein. "Frau Bundeskanzlerin, der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy möchte Sie sprechen. Wir haben eine Schaltung mit Videobild aufgebaut." Merkel begibt sich unmutig an den Schreibtisch, schraubt die Mundwinkel nach oben und begrüsst den entspannt wirkenden Franzosen. "Bonjour Nicolas, ca va?" "Angela, isch darf dir versichern, dass isch sähr ..:" - "Nicolas?" - "Oui, Angela?" - "Warum lächelst du?" - "Mais non, isch ..." Die Bildleitung ist kurz unterbrochen. Als sie wieder steht, trägt Sarkozy eine schwarze Krawatte. "Wirklich, je suis desolé. Aber isch abe einen Rat." - "Und?" - "Komm wieder zum nächsten EU-Gipfel, da ast Du mähr Spass. Du setzt disch auch nicht dursch, aber man merkt es nischt so ..." - "Merci, Nicolas, du bist ein Freund."



   Bei diesem Stichwort tritt Guido Westerwelle auf. "Angela, ich habe nachgedacht, wir kriegen das mit der Steuersenkung hin, wenn ..." - "Herr Westerwelle", unterbricht ihn Christiansen. Der lässt sich nicht unterbrechen. "... wir zunächst den Spitzensteuersatz reduzieren, dann ..." Merkel blickt Koch flehentlich an. "Siehst du, Roland, das mit den Auslandsflügen sollten wir weiterverfolgen." Während Westerwelle bei der Abgeltungssteuer angekommen ist, klingelt das Telefon. Merkel geht ran. "Hallo Schatz. Nein, Joachim ... Ja, tut mir leid ... Ich weiss, dass man es nicht kalt essen kann, aber ich kann jetzt nicht ... Nein. Nicht jetzt. NICHT JETZT!! Wie bitte? Ja, ich dich auch."

   Frau Christiansen räuspert sich. "Frau Bundeskanzlerin, Sie hatten für diese Uhrzeit auch noch ein Telefonat mit Jürgen Rüttgers vereinbart." Während die Verbindung hergestellt wird, sieht man auf dem TV-Gerät im Hintergrund Joachim Gauck. Seehofer dreht den Ton lauter und wendet sich zum Bildschirm, froh, das Steuergemurmel Westerwelles nicht mehr zu hören. Gauck spricht von der Bürgergesellschaft. "Die Bürger wollen den Staat selbst gestalten, sie sind kritisch, wenn es um Privilegien von Politikern geht, und ..."

   Da meldet sich Rüttgers. "Ach, Angela, gut dass ich dich sprechen kann. Du, da ist etwas völlig falsch rübergekommen." - "Schon gut, Jürgen. Ich habe gewusst, das mit dem Dienstwagen war nicht so gemeint." - "Genau. Wie schön, dass du es schon geahnt hast. Natürlich will ich den Wagen nicht für fünf Jahre - sondern lebenslänglich. Und eigentlich sollten dann meine Kinder ..." "Jürgen!"

   "Richtig, ich habe vergessen: Der Fahrer, der sollte mir auch im Haushalt helfen dürfen. Ich müsste da unbedingt die Mauer in meinem Ferienhaus durchbrechen ..." "Jürgen, wir haben gerade die Bundespräsidenten-Wahl verloren." - "Gut, wird da nicht ein Wagen frei?" Das Gespräch endet abrupt. Westerwelle ist bei der Abschaffung der Erbschaftsteuer angekommen, Seehofer unterdrückt einen Lachanfall, Koch wetzt ein Taschenmesser an der Tischkante von Merkels Schreibtisch.

   Christian Wulff kommt. Westerwelle stürzt sich auf ihn. "Herr Wulff, finden Sie nicht auch, dass eiune grundlegende Steuerreform ..." Wulff geht auf Merkel zu. "Man kann aus Niederlagen so viel lernen, glaub mir, ich weiss das genau." - "Ach ja?", sagt Merkel ein bisschen zu spitz. "Was denn?" - "Dass sie nicht gut sind. Dass sie schmerzen. Dass man plötzlich ganz alt aussieht. Dass man eigentlich nur noch zurücktre..." - "HERR WULFF!!" Christiansen wirkt erregt. Wulff ist einsichtig. "Sicher, still, kein Wort mehr. Ich bin ja auch kein Alphatier. Ich wollte ja nur vermitteln." Westerwelle fordert jetzt Einsparungen. "Ja, do fangma gleich bei der FDP an." Seehofer lächelt. "Die kamma sich ganz sparn." Roland Koch wirft sein Taschenmesser an die Stirnwand des Zimmers, wo es zitternd stecken bleibt. Joachim Gauck ist beim Thema Versöhnung angekommen. "Nie darf Politik Gräben offen lassen, immer muss sie Brücken bauen, der Freiheit eine Chance geben ..:"

   Draussen heult ein Motor auf. Rüttgers steigt aus. "Rüttgers, Rüddel, Ruppert." Die Abstimmung läuft. "Frau Merkel, der dritte Wahlgang ist bald beendet", sagt Frau Christiansen. "Oh", sagt Merkel, "ich muss eingedusselt sein." Dann scheint sie noch ein wenig ihrem Traum nachzuhängen. "Wirklich", sagt sie, "wir sollten Wulff wählen. Ach, und bitte geben sie mir die Liste mit Westerwelles Auslandsflügen."
 

 

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