Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. August 2010)
 

Kein Senf mehr in der Tube

   Als ich zu Wochenbeginn erwachte, hatte ich plötzlich keine Meinung mehr. Im Radio lief die Meldung, die Rentengarantie werde vielleicht wieder abgeschafft, und ich dachte bloss: Na und. Wieter hiess es, dass interne Dokumente belegten, der ohnehin schon schmutzige Krieg in Afghanistan sei noch schmutziger als bislang angenommen. Und dass der BP-Chef wegen der öligen Riesensauerei im Golf von Mexiko zurücktreten müsse und die vielen Toten der Duisburger Loveparade vermutlich das Opfer unglaublicher Fehlplanungen geworden seien. Alles echter Aufreger, da steht man doch normalerweise im Bett. Ich aber drückte mich in mein Kissen: Egal, egal, so was von egal.

   Schrecklich. Ein Journalist, der keine Meinung hat, ist ein Fussballer ohne Bums, ein Tiger ohne Krallen, eine Suppe ohne Salz. Ich dachte: Erst verlierst du deine Meinung, dann beginnen deine Vergleiche zu hinken, und am Ende schreibst du so, wie Angela Merkel redet. Das wäre dann das Ende, mein Freund. Wie konnte es so weit kommen?

   Körperlich fühlte ich mich gut. Ich hatte zum ersten Mal auf meiner neuen, wunderbar harten Matratze geschlafen und zum ersten Mal seit Jahren beim Aufstehen keine Rückenschmerzen mehr gehabt. Vielleicht kann man sich nur dann aufregen, wenn einem etwas wehtut. Vielleicht haben nur jene eine klare Meinung, die in der Nacht zu vor schlecht geschlafen haben. Ich weiss es nicht, ich will es auch nicht wissen.



   Wehmütig erinnere ich mich an die Zeit, als ich noch eine Haltung hatte, tiefe, innere Überzeugungen. Ich war ein argumentatives Fallbeil, meine Urteile erfolgten im Minutentakt. Ich hatte nicht nur zu allem eine Meinung, ich hatte auch immer und überall recht.

   Es würde hier zu weit führen, all die Dinge aufzuzählen, die ich korrekt vorhergesagt habe oder von denen ich im Nachhinein wusste, dass sie passieren würden. Nur so viel: Rechthaben ist anstrengend. Widerspruch tut fast schon körperlich weh. Man weiss es besser, man wüsste, was zu tun wäre. Aber all die anderen begreifen es einfach nicht. Rechthaben macht einsam, vielleicht sogar krank. Wie schrieb einst der französische Dichter Adelbert von Chamisso: "Du bist im Recht, nun sieh zu, wie du da wieder herauskommst."

   Mit meiner Meinungslosigkeit wurde es im Lauf der Woche nicht besser. Bringen die Sanktionen gegen den Iran was? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sollte die Türkei EU-Mitglied werden? Das kann man so oder so sehen.

   Es ist wohl so, dass ich einfach urlaubsreif bin. Ich habe so oft zu allem meinen Senf dazugegeben, dass ich jetzt schreibe wie Tube leer. Deshalb bin ich jetzt jetzt drei Wochen erst mal weg. Ich Ich werde ausspannen. Ich werde in billigen Hotels mit durchgelegenen Matratzen schlafen. Dadurch wird hoffentlich meine Grundaggressivität wieder zurückkehren. Ja, ich werde zurückkommen und wieder eine klare Meinung haben. Welche Meinung dass dann sein wird, das ist mir egal, egal, so was von egal. Ich halte es da mit dem amerikanischen Autor Ashleigh Brilliant, der mal sagte: "Meine Ansichten haben sich zwar geändert, aber nicht die Tatsache, dass ich recht habe."
 

 

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