Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (28. November 2010)
 
Der Terror in uns
   

   Es besteht Grund zur Sorge, aber kein Grund zur Hysterie. Die Gefahr von Anschlägen ist real, aber nicht konkret. Wenn wir uns einschüchtern lassen, haben die Terroristen schon gewonnen. Und so stehe ich in der U-Bahn-Station und pfeife ein Lied.

   Zwei Polizisten nähern sich. Wo kommen die plötzlich her? Sonst ist hier nie Polizei zu sehen. Es wird wohl eine dieser "Massnahmen" sein, denke ich, mit denen die Innenminister uns beruhigen wollen. Verstärkte Polizeipräsenz, gefühlte Sicherheit. Mir egal. Ich habe ein gutes Buch dabei und bin schon gespannt darauf, wie es weiter geht.

   Die Polizisten sehen bedrohlich aus: Schwarze Lederjacken, die Mützen tief in die Stirn gezogen, an den Seiten baumeln Pistolen. Ich bin kein Terrorist, das müsste ich wissen. Das alles geht mich nichts an. Ich blicke in mein Buch. Wo war ich stehengeblieben?

   Einer der beiden Polizisten schaut ziemlich oft zu mir herüber. Warum nur? Gut, ich habe einen schwarzen Mantel an, bin unrasiert und trage einen Rucksack, in dem eine Bombe drin sein könnte. Ich bin aber kein dunkler Typ, eher so leicht osteuropäisch. Kommen Terroristen neuerdings aus Osteuropa?

   Morgen rasiere ich mich. Ich bin nicht zum Islam übergetreten. Ich würde das den Polizisten sagen, aber die tuscheln herum, und immer mal wieder blickt der eine mich an. Überlegen sie, wie sie mich am besten überwältigen können? Oder ob es die Vorschriften zulassen, mich vorsorglich zu erschiessen?


   Die U-Bahn kommt, ich steige ein. Nein, ich bin nicht in Panik. Dies ist ein freies Land, alles ist gut. Ich habe mich sicher gefühlt - bis zu dem Augenblick, als die beiden Polizisten auftauchten. Sie steigen ebenfalls ein, dicht hinter mir. Ich hoffe, dass ich nicht nach Angst rieche, und suche mir einen Platz.

   Soll ich jetzt lesen und mein Gesicht hinter dem Buchrücken verbergen? Oder würde das den Verdacht gegen mich erhärten? Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll. Innere Unsicherheit. Ich hebe den Kopf und - sie sehen mich an.

   Warum ich? In dieser Stadtbahn gibt es Menschen, die sehr viel verdächtiger aussehen. Zum beispiel dieser Dicke da drüben mit der Plastiktüte. Was da wohl drin ist? Oder die beiden dunkelhaarigen Jungs dort in billigen Trainingsanzügen. Also, wenn ich mich in die Luft sprengen wollte, würde ich einen billigen Trainingsanzug anziehen. Alles andere wäre ja Geldverschwendung. Ich will mich aber nicht in die Luft sprengen, damit das klar ist. Ich will es nicht! Unglaublich, wie schnell man in diesem Land zum Terrorverdächtigen wird.

   Vielleicht haben die Beamten ja einen heissen Tipp bekommen: In genau dieser Stadtbahn wird in genau fünf Minuten eine Bombe explodieren. Der Tatverdächtige trägt einen schwarzen Mantel und ist unrasiert.

   So wird es sein. Verdammt.

   Ich bin des Todes, so oder so. Entweder werde ich von Plozisten erschossen oder Opfer einer Bombe. Gerade will ich eine letzte SMS an meine Frau schreiben, da steigen die Beamten aus. Einfach so. Gefahr vorüber. Sie war real, aber nicht konkret. Kein Grund zur Hysterie, ich hab's doch gewusst. Morgen fahre ich mal mit dem Auto.
 

 

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