Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. Dezember 2010)
 
In peinlicher Mission
   

   Fassungslos starrt die Menschheit auf die Enthüllungen der Plattform Wikileaks. Im Minutentakt entdecken wir neue Schamlosigkeiten in löchriger Botschafterreizwäsche. Amerika lästerte wie eine Horde texanischer Kuhtreiber, und alles wankt. Das Misstrauen wächst. Kein Wunder, dass die Mächtigen sich hierzulande ebenfalls nur noch in unverständlichen Depeschenhochdeutsch unterhalten, was vor allem verdächtigen Migranten, Mietnomaden, Maulwürfen und Ministern für Äussere Angelegenheiten arg zu schaffen macht. Guido Westerwelle führt ab sofort aus Sicherheitsgründen nur noch bilaterale Selbstgespräche hinter vorgehaltener Hand. Und erklärt sich dabei in endlosen eitlen Satzschleifen vorsorglich selbst zur Persona non grata, was - wie aus gut unterrichteten FDP-Kreisen verlautet wurde - kein Pasta-Rezept für Heiligabend ist. Apropo Stresstest im trauten Kreis: Auf betrieblichen Weihnachtsfeiern wird dieser Tage vorsorglich auf jede missverständliche Floskel verzichtet, und man geht sich nach der dritten Sektflöte gleich direkt an die Wäsche.

   Doch Vorsicht beim vertrauten Whistleblow-Job im Kopierraum: Überall drohen Ecken und Wanzen! Die versehentlich gefaxten Kopien mit den fladenförmigen Motiven könnten von nordkoreanischen Spionen entschlüsselt und als feindliche Lagepläne und Angriffsbefehle fehlinterpretiert werden. Ein Glück, dass Kim Jong-ils Geheimdienstler inzwischen so ausgehungert sind, dass sie nicht nur Faxe, sondern auch Depeschen, Heftklammern, ausländische Informanten und anderes nutzloses Büromaterial augenblicklich verspeisen und ihren Oberbefehlshaber im Dunkeln weiter seine Dauerwelle föhnen lassen.



   Doch nicht nur im Land des "geliebten Führers" herrscht Enzeitstimmung. Winterreifen, Julian-Assange-Sonnenbrillen und Dechiffriermaschinen sind bei uns ausverkauft. Geheimnisträger, die ihr Pseudonym vergessen haben, vermuten, dass der rätselhafte Wikileaks-Gründer ("dünn, blond, brilliant") seinen Unterschlupf in den geblähten Nüstern eines schwedischen Rentieres gefunden hat. und zum Fest der Liebe von einem eingeschleusten Weihnachtsmann rausgekitzelt wird. Manch ein Christmas-Shopper fragt sich panisch, ob man angesichts der dräuenden internationalen Irritationen kommende Woche nicht wieder zur bewährten Scheckbuchdiplomatie zurückkehren und sein Sparkonto auf einmal leer räumen soll (Erik-Cantona-Doktrin). Die Situation bleibt jedenfalls undurchsichtig. Bunker und Tiefbahnhöfe sind schon wieder im Trend. Wird auf einem zugigen deutschen Kopfbahnhof ein herrenloser Diplomatenkoffer gefunden, wird er unverzüglich und mangels echter terroristischer Alternativen rücksichtslos mit widersprüchlichen Argumenten gesprengt, wobei die Ohnmächtigen mit salomonischen Schlichtersprüchen beruhigt werden. Genau das sei Diplomatie, sagte mal ein kluger Mensch: Mit dem Schwein freundlich, aber zielorientiert über die Notwendigkeit des Sonntagsbraten zu verhandeln. Sollte sich später Ihr Braten als der gesuchte Julian Assange entpuppen, lassen Sie sich nichts anmerken. Verhandeln Sie. Lächeln Sie salomonisch. Und beissen Sie herzhaft zu.
 

 

Zurück