Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. Dezember 2010)
 
   

   Weihnachten - das wird im Trubel leider oft vergessen - ist nicht nur das Fest der zimtsüssen Liebe, die Zeit der chronischen Verstopfungen, überquellenden Mülleimer und spitzen Tannennadeln in der Socke. Nein, Weihnachten ist immer auch ein willkommender Anlass zum Innehalten. Zum Luftholen - und Verrücktwerden.

   In den besinnlichen Momenten des betagten Jahres treten wir ans angehauchte Wohnzimmerfenster, lockern unsere Feiertagskrawatte, deren psychedelisches Muster an die sahneverschmierten Kuchenteller in der Spülmaschine erinnert. Starren glasigen Auges hinaus in die deutsch-sibirische Winterlandschaft und begreifen beim Anblick vermummter, auf allen Vieren herumrutschender Gestalten endlich, wie klein und nichtig wir doch alle sind. Nichts ist von Dauer, alles scheint flüchtig.

   Manch eine dieser bedauernswerten Kreaturen da draussen verschwindet urplötzlich im kratergrossen Schlagloch wie ein Festtagskloss im Schlund. Infolge des Blitzeises schaffen es Verschnupfte nicht mehr, dem Nasentröpfeln mit Taschentüchern Einhalt zu gebieten. Es bilden sich bizarre Eisformationen, sogenannte Rüsselstalaktiten, die man bei Bedarf einfach abschlägt und als Zahnstocher benützt.



   Blasenschwache Männer müssen nach dem spontanen Wasserlassen von Hauswänden und Bäumen lostgeschweisst werden. Andere Verzweifelte bilden marodiernde Strassensekten, die an den Händen festgefroren mit ekstasischen Rundtänzen um die baldige Erderwärmung beten - oder wenigstens um einen letzten pünktlichen ICE vor der Apokalypse. Junggesellen versuchen mittellose Frauen zu verführen, indem sie ihnen vorgaugeln, sie seien Feldbettenzulieferer von Lufthansa. Wer ausgiebig schwitzt, bekommt auf der Stelle die Einberufung zum Winternotdienst. Der wohlhabende Nachbar streut in geistiger Umnachtung mit dem Desertlöffel sein letztes Gramm Fleur de Sel über den spiegelglatten Gehweg und wird prompt von der balkanischen Salzmafia mit Schneeschaufeln traktiert.

   Man schüttelt nur den Kopf und denkt: Ja, der Mensch, er ist und bleibt, besonders zwischen den frostigen Jahren, ein Mängelwesen. Ein zivilisatorisches Häufchen Elend. Hätte der Mensch noch Klauen und Hauer, er könnte sich da draussen im ewigen Eis oder beim dräuenden Umtauschwahn im blutrünstigen Kassennahkampf behaupten. Er würde, wenn das Kind die Blockflöte des Grauens zückt, um im Duett mit der tremolierenden Schwiegermutter ("O du grölende") das Nervenkostüm in einen leuchtenden Christbaum zu verwandeln, die Ohren wie ein sanftmütiges Geschenke-Kamel aus dem Abendland verschliessen und wiederkäuend dem eigenen Pulsschlag lauschen. Auch die mangelhafte Körperbehaarung macht uns zum Spielball der Naturgewalten.

   Nein, es gibt keine Hoffnung in diesen kalten, nackten, salzarmen Zeiten. Da hilft nur noch: Warten, starren, bibbern, Schneemänner bauen. Und falls die Schwiegermutter immer noch grölt ... einfach aus Ihrer Sonntagszeitung eine Blockflöte basteln und mitpfeifen. Es hilft ja alles nichts.
 

 

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