Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. Januar 2011)
 
   Deutsche Rituale
 

   Die zurückliegende Woche hat gezeigt: Deutschland pflegt das Ritual wie kein anderes Land. Rituale sind wichtig. Ohne das immer Wiederkehrende, das Geheimbündlerische wären Teezeremonien, Kriege oder Karnevalumzüge undenkbar. Die funktionalisierte Gesellschaft hat das Ritual nicht verdrängt, sondern zu neuem Leben erweckt. So auch auf der alten Sexgaleere Gorch Fock, die auf den Weltmeeren unbeirrt ihre Kreise zieht, im Kielwasser dümpeln Schnapsfässer, Pappnasen und die eine oder andere Flaschenpost an den Wehrbeauftragten.

   Doch auch andere Institutionen ergeben sich freudig dem Ritual. In Berliner Grundschulen bewirft die Lehrerin (im Hauptberuf die Frau eines bekannten Sarazenenfressers) die Heranwachsenen mit Umlauten und eingeschobenen Nebensätzen, bis sie vor Schmerz schreien. Durch gemeinsames Herunterschlucken werden diese komplexen Eigenheiten der deutschen Sprache aber irreversibel verinnerlicht.

   Ins Exzesshafte hineinspielende Rituale erreichen uns aus deutschen Fahrschulen. Schülerinnen müssen Fleischkäse essen, der monatelang im Handschuhfach vor sich hin gedöst hat. Die Lehrer zwingen sie, bei Fahrprüfungen kurze Blechkleider anzuziehen, in denen es unerträglich heiss wird. Die deutsche Ärzteschaft wiederum beruft sich bei ihren Ritualen auf Apologeten wie Sauerbruch oder Brinkmann, die jede Darmspiegelung zu einem quasi religiösen Akt verherrlichten. Wer es in den inneren Kreis der Privatärzte geschafft hat, wird auf die schneeweissen Schiffe der Pharmaindustrie eingeladen. Codeworte wie Aufgaffeln, Lohentrinken oder Schotenschlagen, die aus dem Bereich heruntergekommender Segelschulschiffe stammen, stehen für ausufernde Saturnalien, auf denen literweise grüner Tee mit Aspirin getrunken werden muss. Manch Weisskittel ist hernach so traumatisiert, dass er jeden zweiten Blinddarm neu verlegen muss und darüber vergisst, seinen Investmentberater anzurufen.



   Doch der ist meist ohnehin nicht ansprechbar, weil er sich wöchentlich dreimal dem Ritual der Reinwaschung hingibt, zurückgehend auf den griechischen Gott Persilos. Für die Reinigung begibt man sich nackt, also nur mit Smartphone, Scheckkarte und Autoschlüssel bekleidet, in den Geldspeicher einer normalen Bank, taucht ein wenig und verspeist drei Münzen. Sie stehen für die alten Tugenden des Zinswuchers, der Verschlagenheit und der spirituellen Verbundenheit mit dem alten Gott Mammon, der einer Überlieferung zufolge dem Kunden den Mund wässrig macht und die Arterien der Geldwirtschaft von Transaktionssteuern befreit.

   Von all dem bekommen die Bauern am wenigsten mit. Sie bilden im neuen Jahr einen rituellen Stuhlkreis mit ihren Hühnern. Das Geflügel spendet sein erstes Ei der drallen Bäuerin, die auf ihr sechstes Kind hofft, und macht einige Fingerspiele, bevor der raue Alltag wieder das Kommando übernimmt. Über das uralte Ritual des Menschenopfers ist übrigens in Deutschland nichts mehr bekannt. Obwohl: Zum Ersten des Monats steigt aus dem Kanzleramt immer dieser schwarze Rauch auf. Wir schauen da nochmal nach.
 

 

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