Die zurückliegende Woche
hat gezeigt: Deutschland pflegt das Ritual wie kein anderes
Land. Rituale sind wichtig. Ohne das immer Wiederkehrende, das
Geheimbündlerische wären Teezeremonien, Kriege oder Karnevalumzüge
undenkbar. Die funktionalisierte Gesellschaft hat das Ritual
nicht verdrängt, sondern zu neuem Leben erweckt. So auch auf
der alten Sexgaleere Gorch Fock, die auf den Weltmeeren unbeirrt
ihre Kreise zieht, im Kielwasser dümpeln Schnapsfässer, Pappnasen
und die eine oder andere Flaschenpost an den Wehrbeauftragten.
Doch
auch andere Institutionen ergeben sich freudig dem Ritual. In
Berliner Grundschulen bewirft die Lehrerin (im Hauptberuf die
Frau eines bekannten Sarazenenfressers) die Heranwachsenen mit
Umlauten und eingeschobenen Nebensätzen, bis sie vor Schmerz
schreien. Durch gemeinsames Herunterschlucken werden diese komplexen
Eigenheiten der deutschen Sprache aber irreversibel verinnerlicht.
Ins
Exzesshafte hineinspielende Rituale erreichen uns aus deutschen
Fahrschulen. Schülerinnen müssen Fleischkäse essen, der monatelang
im Handschuhfach vor sich hin gedöst hat. Die Lehrer zwingen
sie, bei Fahrprüfungen kurze Blechkleider anzuziehen, in denen
es unerträglich heiss wird. Die deutsche Ärzteschaft wiederum
beruft sich bei ihren Ritualen auf Apologeten wie Sauerbruch
oder Brinkmann, die jede Darmspiegelung zu einem quasi religiösen
Akt verherrlichten. Wer es in den inneren Kreis der Privatärzte
geschafft hat, wird auf die schneeweissen Schiffe der Pharmaindustrie
eingeladen. Codeworte wie Aufgaffeln, Lohentrinken oder Schotenschlagen,
die aus dem Bereich heruntergekommender Segelschulschiffe stammen,
stehen für ausufernde Saturnalien, auf denen literweise grüner
Tee mit Aspirin getrunken werden muss. Manch Weisskittel ist
hernach so traumatisiert, dass er jeden zweiten Blinddarm neu
verlegen muss und darüber vergisst, seinen Investmentberater
anzurufen.

Doch
der ist meist ohnehin nicht ansprechbar, weil er sich wöchentlich
dreimal dem Ritual der Reinwaschung hingibt, zurückgehend auf
den griechischen Gott Persilos. Für die Reinigung begibt man
sich nackt, also nur mit Smartphone, Scheckkarte und Autoschlüssel
bekleidet, in den Geldspeicher einer normalen Bank, taucht ein
wenig und verspeist drei Münzen. Sie stehen für die alten Tugenden
des Zinswuchers, der Verschlagenheit und der spirituellen Verbundenheit
mit dem alten Gott Mammon, der einer Überlieferung zufolge dem
Kunden den Mund wässrig macht und die Arterien der Geldwirtschaft
von Transaktionssteuern befreit.
Von
all dem bekommen die Bauern am wenigsten mit. Sie bilden im
neuen Jahr einen rituellen Stuhlkreis mit ihren Hühnern. Das
Geflügel spendet sein erstes Ei der drallen Bäuerin, die auf
ihr sechstes Kind hofft, und macht einige Fingerspiele, bevor
der raue Alltag wieder das Kommando übernimmt. Über das uralte
Ritual des Menschenopfers ist übrigens in Deutschland nichts
mehr bekannt. Obwohl: Zum Ersten des Monats steigt aus dem Kanzleramt
immer dieser schwarze Rauch auf. Wir schauen da nochmal nach.
|