Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. März 2011)
 
   Let's dance!
 

   Es ist wieder einaml an der Zeit, sich dem Tanze zu widmen. Schon seit Jahrtausenden lieben es die Menschen, sich rhythmisch zu Musik wie verunstaltete Wahlplakate im Märzwind zu wiegen. Anfänglich waren es strenge Riten, mit denen man die Götter milde stimmen wollte. Unsere Vorfahren waren metaphysischer als wir. Sie schwoften barfüssig auf Waldlichtungen, baten so um Fruchtbarkeit und Wohlstand, stürzten sich leicht beschürzt in enthemmte Abenteuer, während heute potenzielle Tanzpaare nach der Büroarbeit höchstens nackig auf Ergometern oder hinter Rotweingläsern lallend in Ekstase geraten.

   Erst mit dem Aufkommen der cartesianischen Tanzstunde ("Ich trete, also bin ich") suchte man sein Heil nicht mehr in höheren Sphären, sondern auf dem schweissigen Parkett. Man sah lediglich dann noch Sterne, wenn einem jemand auf dem Hühnerauge eine Pirouette drehte. Der Ton wurde rauer, der solidarische Gruppentanz kam aus der Mode - und weder die Erfindung des Springschuhs noch der Ringelblumensalbe konnte den schmerzvollen Niedergang verhindern. Deswegen gilt vielen der Tanz heute als eine sinnlose Freizeitbeschäftigung, so als würde man wieder mal unbezahlte Überstunden schieben, diese leider hüftsteife Kolumne lesen oder den Abend mit RTL verbringen.



   Doch dank der Entdeckungen auf der jüngsten Leipziger Buchmesse ist ein frischer Wind zwischen den Zehen zu spüren. Den Trend setzen die Meister der schwülen Salondichtung, etwa der neueste Wurf des skandalumwitterten Erotomanen Gonorrhoe de Balzac, der in "Tanz und Elend der Kurtisanen" den Leser auf eine atemlose Reise durch den dampfenden Stöckelschuh einer "Crazy Horse"-Tänzerin nach ihrem siebenstündigen Auftritt schickt. Oder aber dieser herrlich ausgetretene Abwicklungsroman von Martin Walzer, der in "Ehen in Phlillipsburg I" beschreibt, wie ein sabbernder Greis und eine blutjunge Frau weiter im Dreivierteltakt in ihrer bürgerlichen Doppelgarage kreisen, obwohl der Atomstrom abgeschaltet ist.

   Überall heisst es nun "Let's dance!", die Tanzschulen spriessen aus dem Boden wie die Pickel beim Abschlussball. Im Fussball ist der Squaredance der letzte Schrei, auf ein unverständliches Kommando hin ("Call") setzen sich zahllose Trainer in Marsch und wechseln pfeifend ihre Positionen. Im Bundestag wiederum hat die weltbekannte Choreografin Angelika Merkel den Eiertanz zu neuem Leben erweckt. Dabei kommt es darauf an, mit ruckartigen Sidesteps immer wieder links anzutäuschen, ohne auf dem rechten Standbein das Gleichgewicht zu verlieren. Eine komplizierte, überaus energieintensive Schrittfolge, die an die gewagten Einlagen in "Dirty Dancing" erinnert. Eine Alternative zu diesem riskanten Balanceakt offeriert man im altbekannten Berliner Tanzstudio "Cem & Claudia", wo eine seltene Eurythmie-Variante auf ungeahntes Interesse stösst: Man tanzt ausgiebig, freilich ohne zu atmen, ohne sich zu bewegen. Das spart wohl Energie. Wer es allerdings lässiger mag, schaltet mal den Fernseher aus, zieht seine roten Schuhe an und tanzt mit seiner Solartaschenlampe zu David Bowie einen letzten gepflegten Stehblues. Let's dance!
 

 

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