Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. Mai 2011)
 
   Menschen zum Mitnehmen
 

   Als Ende März klar war, dass er der erste grüne Ministerpräsident dieser Republik werden würde, sagte Winfried Kretschmann den schönen Satz: "Ich werde, wo es immer geht, die Leute mitnehmen." Das ist der neueste Schrei: Menschen mitnehmen. Aber wie funktioniert das?

   Vergangenen Dienstag ging ein junger Mann in eine Sparkasse in Kronau (Kreis Karlsruhe). Er trug bunte Shorts, ein gestreiftes T-Shirt und eine Sonnenbrille. Er sah also aus wie einer, der kein Wässerchen ausser dem im Freibad trüben kann. Der junge Mann legte der Kasseriererin am Schalter einen Zettel hin. "Achtung Überfall" stand daraugf. Mehr nicht. Kein Komma, kein Ausrufezeichen, keine näheren Anweisungen. Vor allem aber war der Mann nicht bewaffnet. Das brachte sein Vorhaben endgültig zum Scheitern. Die Kassiererin zeigte sich bockig, der Täter trollte sich. Und wenn sie ihn nicht gefangen haben, dann versteckt er sich noch heute. Was lernen wir daraus? Wer Menschen mitnehmen will, der braucht unbedingt Autorität. Es muss ja nicht gleich eine Pistole sein.

   Natürlich hätte man von einer Bankangestellten auch erwarten können, dass sie auf so einen Zettel anders reagiert und einfach mal ein paar Scheine rüberschiebt. Trotz aller Unzulänglichkeiten in Sprache und Auftritt war schliesslich klar, was der Täter wollte. Doch darauf kann man sich nicht mehr verlassen. Ein Tankwart in Filderstadt (Kreis Esslingen) hatte zum Beispiel vor etwa einer Woche versucht, mangels eines ausreichenden Angebots seine Kunden vom Super-Tanken anzuhalten. Er schraubte den Preis auf 9,99 Euro und brachte Warnhinweise an den Zapfsäulen an. Eindeutige Signale eigentlich, die aber von zwei Kunden übersehen wurden. Danach war die Aufregung gross, bis der Mineralölkonzern die Kunden entschädigte. Merke: Wer Menschen mitnehmen will, muss sich auch sehr, sehr klar und sehr, sehr einfach ausdrücken. Und selbst dann werden es einige immer noch nicht verstehen.


   Menschen mitnehmen - was heisst das überhaupt? In diesem Land werden jeden Tag Menschen von anderen Menschen mitgenommen. Fahrgemeinschaften nennt man das. Ist es das, was Herr Kretschmann meinte, als er kürzlich davon redete, dass "weniger Autos natürlich besser sind als mehr" und dass man neue Mobilitätskonzepte bräuchte? Will er uns künftig alle in seinem erdgasbetriebenen Mercedes mitnhmen? Oder sollen wir selbst nach Mitfahrern Ausschau halten? Es gibt aber Menschen, die wollen nicht mitgenommen werden, die sagen: Du, ich bin selber mit dem Auto da. Es gibt Menschen, die Freude am Fahren haben. Genauso wie es Menschen gibt, die bei 9,99 Euro tanken gehen oder die auf das Wort "Überfall" nicht reagieren.

   Wegen der Auto-Äusserung hat Kretschmann im Autoland Baden-Württemberg mächtig Ärger gekriegt. Auch sonst wird viel herumgemäkelt an ihm. In der Opposition war Menschen mitnehmen halt einfacher, doch Kretschmann bleibt dabei: Als er am Mittwoch den Koalitionsvertrag vorstellte, versprach er erneut eine "Politik des Gehörtswerdens". Der Dialog mit dem Bürger sei ihm keine Last, versichterte er. Laut Augenzeugen sah er dabei allerdings schon ziemlich mitgenommen aus.
 

 

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