Was bliebe von mir, wenn
mich morgen der Blitz träfe? Was würde meiner Familie fehlen?
Die Antwort lautet: Klopapier
Es
war so, dass ich im Krankenhaus lag. Nichts schlimmes, nur eine
Knieoperation. Die Sache zog sich allerdings in die Länge. Mein
Knie wollte nach der OP einfach nicht wieder auf die Beine kommen,
und in dieser Klinik kümmerte das keinen. Es waren Osterferien,
der Laden schwach besetzt, vielleicht brauchte man mich auch
zur Auslastung der Betten, was weiss ich.
Die
anderen Patienten kamen und gingen, nur meine Entlassung wurde
immer wieder verschoben. Mit jedem Tag, an dem mein Knie und
ich nutzlos herumlagen, wurde die Sehnsucht nach meiner Frau
und meinen beiden Kindern stärker. Ich war es nicht gewohnt,
länger von meiner Familie getrennt zu sein. Seit der Geburt
meiner Kinder war ich nie mehr als ein paar Tage weg. Jetzt
lag ich hier schon fast eine Woche.
Ich
bin eine männliche Glucke, an mir ist ein Hausmann verloren
gegangen. Statt wild entschlossen in Krisengebiete zu reisen
und tolle Reportagen zu schreiben, lese ich liebr meinen Kindern
abends was vor. Statt mich am Ende des Tages mit wichtigen Leute
zu treffen und Bedeutsames zu erfahren, trage ich lieber den
Müll runter.
In meinem Beruf ich es
deshalb aller Voraussicht nach nie nach ganz oben schaffen.
Zwar geniesse ich innerhalb der Redaktion ein gewisses Ansehen,
aber das speist sich vor allem aus der Tatsache, dass ich den
Kollegen in der Spargelzeit ab und zu ein paar frische Stangen
mitbringe. Ich wohne nämlich in der Nähe eines Spargelbauern.
In der Spargelzeit bin ich daher ein sehr gefragter Mann.
Rein
dienstlich betrachtet, sind hingegen keine Grosstaten von mir
zu erwarten. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ich die Kanzlerin
mit einer Enthüllungsgeschichte stürzen oder als Chefredakteur
Unsterblichkeit erlangen werde. Mein Bild wird nie in den Fluren
unserer Redakion hängen, solche Typen wie mich hängen sie da
nicht auf. Wenn mich morgen der Blitz träfe, würde mein Verlag
wohl eher eine dieser Todesanzeigen schalten, in denen es zum
Schluss immer heisst: "Wir werden ihm stets ein ehrendes
Andenken bewahren." In Wahrheit bist du einen Tag später
schon vergessen.
Entschuldigung, aber
es waren so meine trüben Gedanken, als ich im Krankenhaus lag.
Man ist schliesslich nicht mehr der Jüngste, man liest und hört
so viel von plötzlichen Todesfällen. Vielleicht waren es auch
erste Anzeichen einer beginnenden Midlife-Krise, die Gedanken
eines in die Jahre gekommenden Mannes, der nach der Rolle seines
Lebens sucht.
Meine Frau und meine
Kinder kamen mich regelmässig in der Klinik besuchen. Wir vermissen
dich, sagten sie, dann gingen sie auch schon wieder. Was genau
vermisst ihr, dachte ich. Was genau fehlt euch eigentlich, wenn
ich nicht da bin? Ich habe einen Baum gepflanzt, Kinder gezeugt,
aber als Mensch und Vater will man doch genauer wissen, mit
welchen Leistungen man in Erinnerung bleiben wird.
Am
zehnten Tag in der Klinik nahm ich in der Angelegenheit meinen
ganzen Mut zusammen und fragte endlich meine Frau. Sie stand
am meinem Krankenbett und dachte lange nach. "Da ist zum
Beispiel die Sache mit dem Klopapier", sagte sie. Klopapier?
Ja, sagte sie, seit der gute alte Papa nicht mehr zu Hause sei,
gehe auf der Toilette alle paar Tage das Klopapier aus. Keiner
da, der rechtzeitig für Nachschub sorge. Keiner da, der regelmässig
und in weiser Voraussicht auf den Küchenbalkon gehe, um dort
aus dem Schrank ein paar Rollen zu holen. Aber das sei natürlich
nur ein Beispiel, fügte sie rasch hinzu, doch da hörte ich schon
nicht mehr hin.
Klopapier also. Das
wird von mir bleiben. Wenn sie auf dem stillen Örtchen ins Leere
greifen, dann denken sie an mich. Da schreibst du Artikel für
die Ewigkeit, da legst du dich jeden Tag krumm für deine Lieben,
hilfst im Haushalt und bei den Hausaufgaben. Am Ende zählen
nur die paar Rollen auf dem Kloregal.
Anderseits,
so beruhige ich mich, hätte es viel schlimmer kommen können.
Manche Väter bleiben als gewalttätig oder trunksüchtig in Erinnerung.
Manche als jemand, der nie da war. Ich werde immerhin in die
Familienchronik eingehen als einer, der seine Frau und seine
Kinder stets zuverlässig mit Klopapier versorgt hat, wenn auch
nur mit dreilagigem.
Zwei Wochen nach
meiner Knieoperation wurde ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen.
Es war Frühling, Spargelzeit. Als ich zum ersten Mal wieder
ins Büro humpelte, sagte mein Chef: "Wir haben Sie vermisst."
Ich fragte nicht warum.
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