Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. Mai 2011)
 
   Bierlaune
 

   Auf den ersten Blick hört sich der Vorschlag spritzig an: Politiker und Brauer machen sich dafür stark, dass deutsches Bier von den Vereinten Nationen zum Kulturerbe geadelt und somit auf eine Stufe gestellt wird mit der französischen und der mediterranen Küche.

   Abgesehen davon, dass deutsches Bier weder zur französischen, noch zur mediterranen Küche passt - als kritischer Verbraucher fragt man sich: Na und, was habe ich davon, wenn das Bier zum Kulturerbe wird? Wird dann im Kloster Maulbronn (Seit 1993 Weltkulturerbe) oder im Taj Mahal in Agra im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh (Seit 1983 Weltkulturerbe) künftig Freibier ausgeschenkt? Wird der Freistaat Bayern somit flächendeckend zum Weltkulturerbe und zur Insel der Bierseligen? Und was hat eigentlich das Bier davon, wenn es Weltkulturerbe wird?

   Heisst das etwa, dass im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung oder eines Erdbebens auf Gerstensaft in all seinen Daseinsformen - egal ob er in Dosen, Gläsern, Flaschen, Fässern, Tanks oder Bäuchen lagert - besonders Rücksicht genommen wird? Bedeutet dies für mich als Konsumenten, dass ich mich bei Krisensituationen am besten in der Nähe von Bierbehältnissen aufhalte oder ein formvollendeter Bierbauch mich auf die Stufe von Hochschwangeren stellt und mir besonderen Schutz garantiert?

   In Österreich werden historische Orgeln und Glocken unter dem Begriff Klangdenkmal zusammengefasst. Müsste das konsequenterweise nicht auch für Biergläser gelten, wobei der Wert des Klangdenkmals mit der Füllmenge steigt? Gern hätte ich an dieser Stelle "denk mal nach, lieber Leser" geschrieben. Aber wir sind ja nicht per Du, weil wir noch nie zusammen beim Bier gesessen haben.
   Ich vermute, die Idee, Bier zum Weltkulturerbe erklären zu lassen, ist aus einer Bierlaune heraus entstanden und schmeckt so schal wie die beiden letzten Absätze dieser Kolumne. Nüchtern betrachtet bringt das nichts.
 

 

Zehn Gründe für die Existenz von Kernkraftwerken

   
Kettenkarussell statt Kettenreaktion

 

1       Erdkunde
Auf der Landkarte zu landen ist schwer. Wenn man Brokdorf, Krümmel, Würgassen heisst, findet einen kein Mensch in Google Maps oder im guten alten "Diercke". Da hilft nur eine Autobahnausfahrt oder ein AKW. Gut, man ist eher berüchtig denn berühmt. Aber besser als ein schlechtes Image als gar keines. Man frage nur mal nach Bielefeld.

2       Tourismus
Nichts gegen das Zonenrandgebiet, wie das früher hiess. Aber dort liegt nicht nur der Atommüll begraben, sondern auch der Hund. Doch mit jedem Castor kommen Tausende Polizisten und Demonstranten, steigen die Übernachtungszahlen im Wendland. Essen und trinken müssen auch alle. Insofern war es schlau von Landesvater Winfried Kretschmann, den Finger zu heben. Vorbild Gorleben. Endlager statt Skihalle, da boomt der Tourismus.

3       Eisbären
Erst wenn der letzte Eisbär ertrunken ist, werdet ihr erkennen, dass ihr CO2 nicht essen könnt. Das soll Häuptling Seattle gesagt haben. Bald geht das umgebaute Kraftwerk Neurath ans Netz, befeuert mit Braunkohle. Es stösst halb so viel CO2 aus wie Bangladesch. Wobei die Halbwertzeit dieses Vergleichs gering ist. In 50 Jahren weiss kein Mensch mehr, was Bangladesch war.

4       Die Sonne
Sie ist ein Markenzeichen. Vergleichbar mit der Coca-Cola-Flasche und dem Äpfelchen von Apple. 1975 erfanden die Dänen Anne Lund und Sören Lisberg die rote Sonne mit dem Schriftzug "Atomkraft? Nein danke." Eine lachende Sonne contra trutzige Kühltürme. Ein Geniestreich.

5       Flächenverbrauch
Er hat nie gebrütet. Gebaut wurde er trotzdem. 3,6 Milliarden Euro kostete der schnelle Brüter in Kalkar. Was also machen mit der Ruine? Kernies Familienpark hat dort eröffnet, ein Freizeitgelände. Man darf am Kühlturm klettern, und demnächst im Reaktor schwimmen. Kettenkarussell statt Kettenreaktion. Bald heisst es: Wir fahren nach Neckarwestheim statt nach Rust.

6       Die Grünen
Natürlich, friedensbewegt waren sie auch. Aber die Grünen und der Protest gegen Kernkraft, das war eins. Ohne Wyhl und Wackersdorf wäre Joschka Fischer heute noch Taxifahrer und Stefan Mappus Ministerpräsident. Gut, heute geht Fischer hausieren für den Energie- Atomkonzern RWE. Ideale verfallen schneller als Isotope.

7       Petri Heil!
Angler lieben Kraftwerke. An den Stellen, wo das Kühlwasser in die Flüsse oder Seen abgelassen wird, gedeihen die Fische. Mario Caruso zog beim AKW Biblis einen Wels mit dem Gewicht von 170 Pfund aus dem Wasser. Deutscher Rekord.

8       Popkultur
Kraftwerk sangen "Geiger Counter", Alice Cooper war "Nuclear Infected", Duran Duran protestierten mit "Playing With Uranium". Oder man denke an "Die Wolke", Buch und Film, und Meryl Streep in "Silkwood". Aktuell im Kino ist ist mit "Unter Kontrolle" die Doku zum Ausstieg, Volker Sattel filmte in AKW, lässt die Bilder Sprechen. Energiegeladen, auch ohne Kommentar.

9       Hysterie
Sie werden uns fehlen, die AKW. Worüber sonst kann man sich erregen. Entdecken wir das Waldsterben wieder? Schweinegrippe und EHEC sind Kandidaten. Aber Demos gegen Bakterien und Choräle gegen Viren sind irgendwie langweilig und saftlos.

10      Das gute Gewissen
Wie lässt sich ein Cayenne umweltgerecht pimpen? Man pappt einen Anti-AKW-Kleber drauf. Die rote Sonne als Ablasshandel. Prompt haben wir ein gutes Gewissen. Um Absolution zu erlangen, müssen wir uns künftig besser anstrengen. Und das Auto stehen lassen. Gehen statt kleben.
 

 

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