Auf den ersten Blick hört
sich der Vorschlag spritzig an: Politiker und Brauer machen
sich dafür stark, dass deutsches Bier von den Vereinten Nationen
zum Kulturerbe geadelt und somit auf eine Stufe gestellt wird
mit der französischen und der mediterranen Küche.
Abgesehen
davon, dass deutsches Bier weder zur französischen, noch zur
mediterranen Küche passt - als kritischer Verbraucher fragt
man sich: Na und, was habe ich davon, wenn das Bier zum Kulturerbe
wird? Wird dann im Kloster Maulbronn (Seit 1993 Weltkulturerbe)
oder im Taj Mahal in Agra im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh
(Seit 1983 Weltkulturerbe) künftig Freibier ausgeschenkt? Wird
der Freistaat Bayern somit flächendeckend zum Weltkulturerbe
und zur Insel der Bierseligen? Und was hat eigentlich das Bier
davon, wenn es Weltkulturerbe wird?
Heisst
das etwa, dass im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung
oder eines Erdbebens auf Gerstensaft in all seinen Daseinsformen
- egal ob er in Dosen, Gläsern, Flaschen, Fässern, Tanks oder
Bäuchen lagert - besonders Rücksicht genommen wird? Bedeutet
dies für mich als Konsumenten, dass ich mich bei Krisensituationen
am besten in der Nähe von Bierbehältnissen aufhalte oder ein
formvollendeter Bierbauch mich auf die Stufe von Hochschwangeren
stellt und mir besonderen Schutz garantiert?
In
Österreich werden historische Orgeln und Glocken unter dem Begriff
Klangdenkmal zusammengefasst. Müsste das konsequenterweise nicht
auch für Biergläser gelten, wobei der Wert des Klangdenkmals
mit der Füllmenge steigt? Gern hätte ich an dieser Stelle "denk
mal nach, lieber Leser" geschrieben. Aber wir sind ja nicht
per Du, weil wir noch nie zusammen beim Bier gesessen haben. Ich
vermute, die Idee, Bier zum Weltkulturerbe erklären zu lassen,
ist aus einer Bierlaune heraus entstanden und schmeckt so schal
wie die beiden letzten Absätze dieser Kolumne. Nüchtern betrachtet
bringt das nichts.
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1 Erdkunde Auf der Landkarte zu landen ist schwer.
Wenn man Brokdorf, Krümmel, Würgassen heisst, findet einen kein
Mensch in Google Maps oder im guten alten "Diercke".
Da hilft nur eine Autobahnausfahrt oder ein AKW. Gut, man ist
eher berüchtig denn berühmt. Aber besser als ein schlechtes
Image als gar keines. Man frage nur mal nach Bielefeld.
2 Tourismus Nichts gegen das Zonenrandgebiet, wie das
früher hiess. Aber dort liegt nicht nur der Atommüll begraben,
sondern auch der Hund. Doch mit jedem Castor kommen Tausende
Polizisten und Demonstranten, steigen die Übernachtungszahlen
im Wendland. Essen und trinken müssen auch alle. Insofern war
es schlau von Landesvater Winfried Kretschmann, den Finger zu
heben. Vorbild Gorleben. Endlager statt Skihalle, da boomt der
Tourismus.
3 Eisbären Erst wenn der letzte Eisbär ertrunken
ist, werdet ihr erkennen, dass ihr CO2 nicht essen könnt. Das
soll Häuptling Seattle gesagt haben. Bald geht das umgebaute
Kraftwerk Neurath ans Netz, befeuert mit Braunkohle. Es stösst
halb so viel CO2 aus wie Bangladesch. Wobei die Halbwertzeit
dieses Vergleichs gering ist. In 50 Jahren weiss kein Mensch
mehr, was Bangladesch war.
4 Die
Sonne Sie ist ein Markenzeichen. Vergleichbar
mit der Coca-Cola-Flasche und dem Äpfelchen von Apple. 1975
erfanden die Dänen Anne Lund und Sören Lisberg die rote Sonne
mit dem Schriftzug "Atomkraft? Nein danke." Eine lachende
Sonne contra trutzige Kühltürme. Ein Geniestreich.
5 Flächenverbrauch Er hat nie gebrütet. Gebaut wurde er trotzdem.
3,6 Milliarden Euro kostete der schnelle Brüter in Kalkar. Was
also machen mit der Ruine? Kernies Familienpark hat dort eröffnet,
ein Freizeitgelände. Man darf am Kühlturm klettern, und demnächst
im Reaktor schwimmen. Kettenkarussell statt Kettenreaktion.
Bald heisst es: Wir fahren nach Neckarwestheim statt nach Rust.
6 Die
Grünen Natürlich, friedensbewegt waren sie auch.
Aber die Grünen und der Protest gegen Kernkraft, das war eins.
Ohne Wyhl und Wackersdorf wäre Joschka Fischer heute noch Taxifahrer
und Stefan Mappus Ministerpräsident. Gut, heute geht Fischer
hausieren für den Energie- Atomkonzern RWE. Ideale verfallen
schneller als Isotope.
7 Petri
Heil! Angler lieben Kraftwerke. An den Stellen,
wo das Kühlwasser in die Flüsse oder Seen abgelassen wird, gedeihen
die Fische. Mario Caruso zog beim AKW Biblis einen Wels mit
dem Gewicht von 170 Pfund aus dem Wasser. Deutscher Rekord.
8 Popkultur Kraftwerk sangen "Geiger Counter",
Alice Cooper war "Nuclear Infected", Duran Duran protestierten
mit "Playing With Uranium". Oder man denke an "Die
Wolke", Buch und Film, und Meryl Streep in "Silkwood".
Aktuell im Kino ist ist mit "Unter Kontrolle" die
Doku zum Ausstieg, Volker Sattel filmte in AKW, lässt die Bilder
Sprechen. Energiegeladen, auch ohne Kommentar.
9 Hysterie Sie werden uns fehlen, die AKW. Worüber
sonst kann man sich erregen. Entdecken wir das Waldsterben wieder?
Schweinegrippe und EHEC sind Kandidaten. Aber Demos gegen Bakterien
und Choräle gegen Viren sind irgendwie langweilig und saftlos.
10 Das
gute Gewissen Wie lässt sich ein Cayenne umweltgerecht
pimpen? Man pappt einen Anti-AKW-Kleber drauf. Die rote Sonne
als Ablasshandel. Prompt haben wir ein gutes Gewissen. Um Absolution
zu erlangen, müssen wir uns künftig besser anstrengen. Und das
Auto stehen lassen. Gehen statt kleben.
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