Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (19. Juni 2011)
 
   Das Leben ist eine Baustelle
 

   Es war wieder eine dieser Wochen, die Astronomenherzen höher schlagen pulsieren liess. Das Magazin "Science" berichtete von einer Explosion in einer Milliarden von Lichtjahre entfernt liegenden Galaxie. Ein schwarzes Loch habe einen Stern, eine ganze Sonne in Stücke gerissen. Vom Sternenschredder war die Rede, von einer kosmischen Baustelle mit historischen Ausmassen. Namhafte Forscher rieten der Bevölkerung zur Besonnenheit, die Erde sei von diesem Naturschauspiel nicht betroffen.

   Wirklich? Unsere Horoskop-Redaktion rät zur Vorsicht. Sie beobachtet seit geraumer Zeit eine besorgniserregende Zunahme von Schwarzen Löchern und Baustellen in den Nachbargalaxien. Gerade im Spätfrühling verwandelt sich manch eine Stadt in einen kreischenden Schlund, aus dessen Tiefen Betonfräsen und Vibrationsstampfer infernalische Sinfonien entweichen lassen. Die Menschenkiefer zittern. Die Strassen sind mit Plomben übersät, Zahnärzte kommen mit dem Füllen nicht mehr nach, schicken Kassenpatienten gleich in den Baumarkt. Auf alles legt sich Zementgriess. Immer häufiger sieht man hüstelnde Jungmütter mit grau melierten Säuglingen auf dem Arm. Nach Regen fallen Tauben wie Betongranaten vom Himmel, so dass bei Manufactum die Luftschutzkeller "Alte Nicolaischule" ausverkauft sind. Beim Spaziergang im Park weiss man nie: Ist das die eigene Frau, ein seniler Herbert-Grönemeyer-Fan oder doch ein Schiller-Denkmal?

                 

   Überall liegt Alteisen im Weg wie ein rostender Fussballkapitän. Unübersehbar klaffen an bildungsbürgerlichen Prestigebauten Risse, bröckelt die Fassade, der silvanablonde Edelputz. Schnell hochgezogene Dissertationen verwandeln sich in karrieristische Steinbrüche. Was vor kurzem noch grün und sauber schien, bekommt einen schmierigschwarzen Überzug. Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel. Was steckt nur hinter dem Phänomen des Grünenschredderns? Wieder so ein niedersächsischer Biohof? Oder doch die undurchdringliche Supernova der Union, die schwarze Angela-Gravitation, welche alles aufsaugt, atomar aufspaltet, bis nur noch ein kümmerlicher Sternenrest übrig bleibt, ein schwach glimmendes grün-gelb-rotes Wetterleuchten?

   Auch anderswo geht die Angst um. Wer abends einen zu viel hebt, in der lauschigen Bahnhofsgegend von Stuttgart etwa, verschwindet beim Nachhausetorkeln plötzlich in einem frisch ausgehobenen Krater. Achtung, Grube, will man noch schreien, aber niemand ist da. Man vernimmt aus der Bodenlosigkeit nur noch ein zufriedenes Rülpsen. Das Loch lebt, die Kreatur schaut in die Röhre. Das Leben? Ein Dixie-Klo.

   Und was sind schon 3,5 Milliarden Lichtjahre im Vergleich zum Appetit des Monsterlochs auf dem südlichen Balkan, das alles in seinem realitätsfernen Strudel zieht wie eine Flasche Ouzo vor Sonnenaufgang? Der Grieche immerhin wehrt sich gegen das Verschwinden im Verdauungstrakt der intergalaktischen Grossfinanz und wirft Pflastersteine in die schmatzende Leere. Doch ausser einem leichten Sodbrennen in Brüssel, was auch von selbst gezogenen Sprossen herrühren könnte, ist nichts zu spüren. Es ist hoffnungslos. Am Ende siegt noch immer das ewige Loch.

 

 

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