Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. Februar 2012)
 
   Berliner Feuilleton
 


   Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele, sagte mal Pablo Picasso, der es wissen musste. Schliesslich war der virile Spanier vor seinem Durchbruch oft pleite und konnte sich für seine zugestaubte, mit Champagnerflaschen und Reizwäsche übersäte Mansarde keine Putzfrau leisten. Verzweifelt malte er alles voll, was ihm vor den Pinsel kam.



   Kunst tröstet, Kunst reinigt. Auch wir können nach den Schlammschlachten der postpräsidialen Woche auf unsere Künstler vertrauen. Sie arbeiten an einer ästhetischen Aufarbeitung der dramtischen Geschehnisse.

   Gerhard Richter etwa, deutscher Künstler von Weltruf, für dessen Retrospektive die Berliner zurzeit wie anno 46 tagelang anstehen, malt an einem neuen Bild mit dem Titel "Onkel Otto". Ein älterer, mild grinsender Mann ist zu erkennen. Es scheint Otto Rehhagel zu sein, der neue Hertha-Trainer, aber wer weiss. Denn Richter greift auf das Stilmittel der Verwischung zurück. Diese Unschärfe kann als Paradigma eines Fundamentalen Erkenntnisszweifels verstanden werden. Niemand weiss, was wahr ist, was falsch ist, wer Trainer ist, wer Präsident. Und je länger man schaut, desto deutlicher schält sich eine andere Fratze aus dem Bild: Es ist Joachim Gauck, entrückt vom intensiven Selbstgespräch. Eine gespenstische Ähnlichkeit. Dazu im Hintergrund ein irisierendes grün-rot-gelbes Wetterleuchten. Ein Augenrausch.

   Auch der bekannte Theatermetzger Frank Castorf, der für seine Inszenierungen an der Berliner Volksbühne immer mindestens einen Hektoliter Schweineblut mit frischen Pansen benötigt und seinen Vertrag nun bis 2062 verlängert hat, steckt knietief in den Proben. Bei "Kabale und Triebe" handelt es sich um ein kleinbürgerliches Trauerspiel mit prickelnden Nord-Süd-Dialogen. Die Handlung ist rasch erzählt: Chris und Betty, ein Liebespaar aus Hannover, macht trotz horrender Benzinpreise mit einem geleasten Skoda eine Schnäppchentour nach Berlin, verfährt sich aber im Intrigennebel. Nach monatelangen Geisterfahrt auf dem Stadtring endet die Reise jäh, aus dem Navigationsgerät die Stimme eines ostdeutschen Pastors erklingt. Niemand versteht ein Wort, aber es klingt poetisch. Sie fahren rechts ran. Sie steigen aus, küssen sich - und werden von einem Rudel hungriger Hauptstadtjournalisten zerfleischt. Das Einzige, was übrig bleibt, ist ein Rabattmarkenheft der Drogerie Rossmann. Für die Rolle der tätowierten Beifahrerin war eigentlich Nina Hoss vorgesehen, doch die sagte wegen eines Blondinenwitzes ab. Nun munkelt man in den Feuilletons, Thomas Gottschalk würde den Part übernehmen. Vielleicht ein Publikumsgift.



   Regisseur Christian Petzold (Silbener Bär, Goldhamster) drehth ebenfalls, und zwar einen Film über einen vernachlässigten Aspekt im Bellevue: Das verwaiste Beautycase der abwesenden Schlossherrin. Im Bellevue ist es mucksmäuschenstill, kalt. Die Kamera hält voll drauf auf das Beautycase. Plötzlich ein lautes Keckern. Und ein Fuss kickt das Schminkköfferchen aus dem Bild. Otto Rehhagel ist es, der nackt durchs Schloss rennt. Oder ist es Horst Seehofer? Heidi Klum? Gar Joachim Gauck? Egal. Die Präsidenten kommen und gehen. Was bleibt, ist die Kunst.
 

 

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