Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (04. März 2012)
 
   Der Frühling ist eingepreist
 


   
Es wird heller in Deutschland, ein Prickeln und Bitzeln erfüllt die Atmosphäre, was unzweifelhaft auf das alljährliche Phänomen des Frühlingsbeginns hindeutet. Der Frühling dauert noch drei Monate, wie es dann weitergeht, ist angesichts der weltweiten Krise offen. Diese Woche aber schickt er die Botenstoffe der Liebe in die entlegensten Winkel unwirklicher Grossstädte, wo alsbald ein solches Schnäbeln und Turteln, ein Zwitschern und Züngeln beginnt, dass altgediente Platanen nicht mehr ausschlagen, sondern sich pikiert abwenden. In den Eckkneipen strahlt die Sonne schräg in die Biergläser und lässt Staubfäden tanzen. Männer halten sich trotz ihrer Bauchfalten unwiderstehlich, Frauen holen mit Todesverachtung knappe Röcke aus den Kleiderkammern.



   Staubfäden gibt es in Schloss Belevue nicht, und keine engen Röcke. Stattdessen schaut sich ein soignierter älterer Herr sein künftiges Büro an und arbeitet schon mal an einer seiner beliebten Jahrhundertreden - diesmal zum Thema Frühling. Aus einem Karteikasten zieht er Begriffe wie Tatkraft, Tristesse (befreien von), Mut, Schritt (nächster), Unkultur (Erlösung von) und noch einige Beifallskärtchen (immer minutenlang und stehend) und schliesslich die Schlusspointe (Vertrauen auf Deutschland, Freiheit durch Vertrauen, Vertrauen aus Freiheit, Vertrauen aus Freiheit, Deutschland als Land der Freiheit, das Vertrauen verdient und umgekehrt). Flugs die frühlingshaften Elemente eingestreut: Schwerer Tann (schüttle ab), blaues Band, Veronika (ist da), Lenz und so weiter. Die Putzfrau räumt derweil letzte Probeexemplate von Aschenbechern, Carrera-Rennbahnen und Pfannen mit hitzebeständiger Antihaftversiegelung weg, die sein Vorgänger hinterlassen hat.

   Dieser sitzt in einem verklinkerten Vorort von Hannover inmitten von Umzugskartons und klebt Rabattmarken ein. "Frühlingsaktion: Bei 3000 Punkten erhalten sie einen Pizzaofen oder einen Schokobrunnen", schreit es aus der Werbung einer Einzelhandelskette. Der Mann strahlt: "Toll! Mal sehen, ob auch beides geht." Er greift zum Telefon.



   In den Etagen der Investmentbanken dagegen ist der Frühling bereits in die Kurse eingepreist. Heftig wird über die Zeit danach spekuliert. Wird die allgemeine Luftfeuchtigkeit im August in den PIG-Staaten von der Entwicklung des Euribors abweichen? Wie entwickeln sich die neuen Differenzkontrakte, die mit der Schattenlänge der Commerzbank im Herbst gehebelt werden? Lässt sich der Frühlingsbeginn im kommenden Jahr mit Optionsscheinen in den April verschieben und mit Futures auf die Krokusblüte absichern? Der Frühling hält uns also fest in der Hand. Nun  liegt es an jedem Einzelnen, was er draus macht. Ein Gedicht ist das mindeste. Hier die Stichworte: Kirschbaum, Blüte, Liebe, Bärlauch, Widder, Eier (bunt), Samen (spriessen), Bodenfrost (in Tieflagen).

   Übrigens: Nicht alle jubeln über den Frühling. Wie man hört, haben die Griechen ihren Frühling bereits zu einem Zinssatz von sechs Prozent an den Märkten verkauft. Die Springanleihe kann noch gezeichnet werden - in jedem sonnigen Strassencafé.
 

 

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