Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (03. Juni 2012)
 
Wenn der Postmann zweimal klingelt
 

   Ein Blick in den Rückspiegel ist auch nicht das, was er mal war. Die Vergewisserung, dass alles seine Ordnung hat. Immer öfter erkennt man darin etwas Zottliges, Unheimliches, das einen verfolgt. Doch wer sich hinter dieser schrecklichen, immer näher kommenden Fratze verbirgt, ist auf die Schnelle nicht auszumachen. Einer dieser Höllenengel, der beim Spurwechsel statt eines Blinkers eine abgesägte Schrotflinte betätigt? Das zweite amoklaufende Gedicht von Günter Grass? Josef Ackermann auf seinem Weg in die wohlverdienten Ferien? Oder ist es doch nur die Sicht auf die eigene runzlig gewordene Wackelrübe, die einem auf der Autobahn des Lebens kurz vor der Ausfahrt plötzlich so alt und fremd erscheint?



   Aber nein, es ist ein guter Bekannter: Günter Wallraff in einem verbeulten Sprinter. Wieder einmal rast der rasende Reporter wie entfesselt durch unsere Medienlandschaft, putzt unsere Klingeln, unsere Gewissensglöckchen. Wie üblich auf der linken Spur. Doch dieses Mal ist er eindeutig zu weit gegangen. Maskiert als gut bestücktes, slawisch aussehendes Zalando-Paket bringt er mit billiger Opfermasche und verführerischem Migrantendeutsch unsere frustierten Hausfrauen am späten Nachmittag dazu, vor Glück zu schreien, derweil wir Männer und männerähnlichen Büroangestellten für einen Billiglohn schuften. Ein Skandal. Umso wichtiger, dass rasch gehandelt wird. Während Joachim Gauck die Rolle des Islams in unserer ausgebeulten Sprintergesellschaft hinterfragt, fordert die SPD die Einführung eines Mindestlohns für Enthüllungsjournalisten von drei Euro. Die Grünen im Südwesten wollen das Kulturbudget empfindlich kürzen und setzen auf eine grassierende Leseschwäche der Bürger. Bücher von Amazon schaden sowieso nur der Umwelt, heisst es in einer Erklärung; statt Goethe sollen die Kinder Packungshinweise auf Bioprodukte lesen lernen. Interessant der Vorschlag der CSU, der alle Probleme auf einmal löst: Ausbau von mobilen Kindertagesstätten  (Sprinter), auf die dann eine saftige PKW-Maut (Herdprämie) erhoben wird. Fraglich, ob diese Paketlösung konsensfähig ist.



   Man darf aber die Verdineste des beliebten Enthüllungsjournalisten nicht ausser Acht lassen. Für viele engagierte Jungjournalisten ist Wallraff neben dem grossen Auspacker Peter Scholl-Retour bis heute ein Idol. Unzählige eifern ihm nach, verkleiden sich für Undercover-Recherchen als Bäcker, Ali oder handelsüblicher Sklave. Ein gefährliches Unterfangen. Die meisten kehren nie wieder zurück in ihre Redaktionen, wohl auch deshalb nicht, weil die Überstundenregelungen bei GLS besser sind.

   Doch nicht nur wir Redakteure warten auf ein aufwühlendes Enthüllungspaket aus der Gosse. Nein, ganz Europa sehnt das nächste Klingeln an der Tür herbei. der spanische Nachbar wartet auf das erste Rettungspaket, der griechische zittert schon vor dem nächsten. Jeder will sein Päckchen tragen, vor Glück schreien. Die Hauptsache ist doch, dass geliefert wird. Egal, was.
 

 

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