Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. Juli 2012)
 
Mein Leben als Schildkr�te
 

   Der gemeine Mann mag aufgeatmet haben, als er las: "George ist tot." Schon wieder ein Mitbewerber weniger, dachte er, obwohl er nichts gegen George Clooney hat und dessen Auftritte als Dr. Ross in der US-Fernsehserie "Emergency Room" sogar sympathisch fand.

   Im Kleingedruckten wurde ihm klar, um welchen George es sich handelte. Lonesome George, der einsame George, war eine Riesenschildkr�te und der bekannteste Bewohner der Galapagosinseln. George wurde gerade mal 100 Jahre alt und aus Riesenschildkr�tensicht im besten Mannesalter aus dem Leben gerissen.



   George, der Vertreter der Riesenschildkr�ten-Unterart Chelonoidis abingdoni, kann ein Attribut f�r sich in Anspruch nehmen, das sich so mancher Mann gern ans Revers heften w�rde: Er war der Letzte seiner Art. Ich f�rchte, weder im Nachruf von Helmut Kohl, noch in dem von Dieter Bohlen wird eine solche Formulierung zu finden sein.

   Seit mir in meiner Jugend eine Rotwangen-Schildkr�te (Trachemys scripte elegans) zugelaufen ist, kennt meine Bewunderung f�r unsere gepanzerten Freunde keine Grenzen. In meinem Testament habe ich verf�gt: Sollte ich jemals wiedergeboren werden, dann als Testudinata, so der wissenschaftliche Name f�r die Schildkr�te. Ob als Papua-Weichschildkr�te oder als Altwelt-Sumpfschildkr�te, liess ich offen. Man will dem lieben Gott nicht den Rest an sch�pferischen Freiheit rauben.

   Als Schildkr�te hat man das, wovon Campingfreunde nur tr�umen k�nnen: Immer sein Haus dabei. Die Schildkr�te ist, wenn man will, der Holl�nder unter den Reptilien. An Land mag das Geh�use l�stig sein und unbeholfen wirken, wer aber einmal eine Schildkr�te durchs Wasser gleiten sah, wie sie sich elegant in der Str�mung treiben l�sst und die Flossen wie Fl�gel spreizt, der weiss, was ich meine. Offenbar bin ich nicht der Einzige, dem Schildkr�ten unter die Haut gehen: 90 Prozent aller Griechen, ergab eine Umfrage, w�rden liebend gern mit Landschildkr�ten tauschen.

   Das eigentliche Faszinosum ist dies: Stundenlang in der Sonne zu kliegen, dabei die Gliedmassen von sich strecken und niemals sagen zu m�ssen: "Schatz, creme mir bitte den R�cken ein!"

   Ein Wort noch zum einsamen George, der eine Eigenschaft sein Eigen nennen durfte, die nicht viele von uns f�r sich in Anspruch nehmen k�nnen: George hatte Charakter, er war der Fels in der Galapagos-Brandung. Immun gegen Leistungsdruck. Jahrelang hat man versucht, ihm Schildkr�tendamen unterzuschieben, auf dass er das �berleben seiner Art sichere. Als deutscher Erzeuger kann man ein Lied davon singen. St�ndig wird einem eine Geburtenrate von 1,6 Kindern pro Familie unter die Nase gerieben.



   George blieb standhaft. Vielleicht hatte er Spass mit den Damen. Immerhin legten sie Eier. Aber nicht eines war befruchtet. George war nicht nur der Letzte seiner Art. George war ein ganzer Kerl. Er mag ausgestorben sein. Vergessen werden wir ihn nie.
 

 

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